Bebilderte Predigt zum Israelsonntag

Im Jahr 2015 hat die Saint Joseph‘s University in Philadelphia, eine private Einrichtung der Jesuiten, eine große Skulptur bei dem ortsansässigen Künstler Joshua Koffman in Auftrag gegeben, die das traditionelle Motiv von Synagoge und Ekklesia in Harmonie zeigt. Die Skulptur soll an den 50. Jahrestag der Deklaration Nostra aetate erinnern, die auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil am 26. Oktober 1965 verabschiedet worden war. In dieser Deklaration wird die Haltung der katholischen Kirche zu den nichtchristlichen Religionen bestimmt. Beide Figuren tragen Kronen und halten ihre jeweiligen Heiligen Schriften in Händen. Dabei wird der Gedanke nahegelegt, dass beide voneinander lernen. Die aufgestellte in Bronze gegossene Skulptur wurde im September 2015 von Papst Franziskus gesegnet.

Liebe Gemeinde,
durch die Änderung der Ordnung der Bibeltexte für die Gottesdienste 2018 haben wir heute einen neuen Bibelabschnitt als Predigttext: Mt 5, 17-20. Es sind Worte aus der Bergpredigt. Jesus erscheint uns hier anders als gewohnt. Er erscheint uns als ein Lehrer, der ganz im Judentum verwurzelt ist und die Tora mit ihren 10 Geboten wertschätzt und achtet. Hier wird nicht Freiheit vom Gesetz, die Freiheit von der Tora thematisiert, wie wir es bei Paulus oder bei Luther hören können, sondern die Treue zur Tora. Auf das Tun und auf das Hören auf Gottes Willen kommt es an. Die Gebote Gottes behalten auch für uns Christen ihre Gültigkeit. Ich lese aus der Bergpredigt:
17Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen; ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen.18Denn wahrlich, ich sage euch: Bis Himmel und Erde vergehen, wird nicht vergehen der kleinste Buchstabe noch ein Tüpfelchen vom Gesetz, bis es alles geschieht. 19Wer nun eines von diesen kleinsten Geboten auflöst und lehrt die Leute so, der wird der Kleinste heißen im Himmelreich; wer es aber tut und lehrt, der wird groß heißen im Himmelreich. 20Denn ich sage euch: Wenn eure Gerechtigkeit nicht besser ist als die der Schriftgelehrten und Pharisäer, so werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen.
Im Judentum gibt es die Vorstellung, dass Gott dem Mose auf dem Sinai nicht nur die in Stein gemeißelten Gebote, die schriftliche Tora, sondern auch die mündliche Tora übergeben hat. Matthäus knüpft daran an. Er stellt Jesus neben Mose auf den Berg. Wie ein jüdischer Gelehrter legt Jesus die Tora aus. Bereits in der Tora ist der Satz enthalten: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“ Jesus steht mit seiner Auslegung der Tora nicht außerhalb der Tora, sondern er will der Tora zu ihrer eigentlichen Bestimmung verhelfen. Darum fasst er den Sinn der Tora zusammen im Gebot der Liebe. Alle Gebote der Tora laufen auf das Liebesgebot hinaus. Jesus will die Tora nicht abschaffen, sondern erfüllen, ihren Sinn zur Geltung bringen.
Als eigentlichen Sinn der Tora, der Weisung Gottes, sieht Jesus, dass die Menschen in guten, gelingenden Beziehungen leben. Das meint das Wort Gerechtigkeit. Einem gelingenden Leben gerecht werden. Jesus spricht den Schriftgelehrten und Pharisäern nicht ab, dass sie sich um ein Leben in Gerechtigkeit bemühen. Aber die Gerechtigkeit soll bei seinen Nachfolgern überließen, also noch besser umgesetzt werden.
Gerade daran hat es aber in der Kirche leider durch die Jahrhunderte hindurch gemangelt. Gerade auch im Umgang mit den jüdischen Glaubensgeschwistern. Ausdruck fand das in Vorurteilen, Repressalien, Verfolgung und in in Stein gemeißeltem Antijudaismus.

So findet sich in Deutschland noch an und in dutzenden Kirchen die sogenannte Judensau, eine unsägliche Verschmähung der Juden. Während ein Rabbiner der Sau in den After schaut, trinken jüdische Kinder an den Zitzen der Sau. Für Juden gilt das Schwein als unrein. Und sie auf diese Weise zu verunglimpfen, ist nicht nur unterstes Niveau, es ist menschenfeindlich. Krass im Gegensatz zum Liebesgebot der Tora, das Jesus den Seinen so sehr ans Herz gelegt hat.

Zum 50. Jahrestag der Pogromnacht wurde am 9. November 1988 vor der Stadtkirche Wittenberg dieses Mahnmal gegen Judenfeindlichkeit enthüllt. Ein Urteil des Bundesgerichtshofs hat in diesem Jahr festgestellt, dass das Sandsteinrelief der sogenannten "Judensau" aus dem 13. Jahrhundert an der Stadtkirche in Wittenberg nicht entfernt werden muss, weil die Kirchengemeinde durch eine Bodenplatte und einen Aufsteller mit erläuterndem Text das "Schandmal" in ein "Mahnmal" umgewandelt habe. Die jetzige Form der Distanzierung soll aber noch deutlicher erfolgen.

Genauso diffamierend ist die plastische Darstellung von Synagoge und Ekklesia, zwei Frauen, die sinnbildlich für die Juden und die Kirche stehen. Diese beiden Figuren findet man nicht nur am Bamberger Dom oder am Straßburger Münster.

Die Frau Synagoge ist zu sehen mit einer Augenbinde, d.h. sie ist blind dafür, dass Jesus der verheißene Messias ist. Die Gebotstafeln gleiten ihr aus der Hand. Der Stab in ihrer Hand ist zerbrochen.

Dagegen ist die Frau Kirche triumphierend und strahlend dargestellt: Sie trägt eine Krone, sie sieht und hat den Durchblick. Der Kreuzstab in ihrer Hand ist intakt.
Seit 2015 gibt es an der Jesuitenuniversität in Philadelphia ein Kunstwerk, das sehr gut den Wandel im Verhältnis von Synagoge und Kirche ausdrückt. Es zeigt Synagoge und Kirche in Harmonie. Papst Franziskus hat die Bronzeskulptur des Künstlers Joshua Koffman 2015 geweiht.

Da sitzen sie nun nebeneinander: Kirche und Synagoge. Zwei schöne Frauengestalten. Beide tragen eine Krone wie zwei Schwestern. Beide haben ihre Augen geöffnet. Sie scheinen gerade anzufangen, sich einander zuzuwenden.
Noch lehnen sie ja fast Rücken an Rücken, aber die Bewegung ist klar und eindeutig: der Blick geht zueinander, ein wenig noch verschämt, aber doch auch in die Richtung der jeweils anderen und der Bücher, die sie in ihren Händen halten. Die Synagoge hat eine Torarolle in der Hand. Vorsichtig wirft sie den Blick auf das Bibelbuch der Christin und die Christin schaut vorsichtig hin zu der Torarolle der Jüdin. Ich finde das eine sehr ansprechende Darstellung für den Dialog zwischen Juden und Christen, den es unbedingt zu fördern und zu vertiefen gilt.
Welch eine Verwandlung! Welch ein Neuanfang! Endlich! Da sitzen sie und begegnen sich auf Augenhöhe: Synagoge und Kirche. Viel zu lange hat es gedauert. Viel zu lange haben Christen gebraucht, um zu verinnerlichen, dass Jesus Jude war und Zeit seines Lebens geblieben ist. Jesus war tief verwurzelt in seiner jüdischen Tradition, die damals auch nicht einheitlich war.
So ist das bis heute: Sowohl Juden als auch Christen sind untereinander jeweils nicht gleichförmig, sondern unterschiedlich. Der eine ist dem Zeitgeist aufgeschlossener, der andere weniger. Der eine ist liberaler, der andere eher konservativ.

Im Juli hat Reinhard Hüßner, der seit 2005 in der ehemaligen Synagoge in Wiesenbronn lebt, sein Haus für die Öffentlichkeit geöffnet. Es war beeindruckend, den Sternenhimmel im Obergeschoss zu sehen, unter dem die jüdische Gemeinde in Wiesenbronn einst ihre Gottesdienste feierte.

2012 hat er auch eine verschüttete Mikwe, ein jüdisches Tauchbad, wieder freigelegt. Herr Hüßner meinte, dass nicht alle Juden sich an die vorgeschriebenen rituellen Waschungen hielten. Die einen nahmen die religiösen Vorschriften genauer, die anderen gingen laxer damit um.
Juden nehmen es heute dankbar zur Kenntnis, dass die Kirchen ihre alte Judenfeindschaft abgelegt haben. Die tiefe Verwurzelung des Christentums im Judentum wird viel klarer und deutlicher gesehen und benannt. Ein unvoreingenommenes Lesen der Bibel ermöglicht neue Zugänge zu den Texten der hebräischen Bibel und des Neuen Testaments. Das spiegelt sich in der Skulptur von Synagoge und Kirche, wo beide neugierig sind über die Schriftauslegung der anderen.


Durch das christlich-jüdische Gespräch wurden und werden Vorurteile und Schubladendenken überwunden.
Wir sehen heute klarer, dass der Apostel Paulus an der bleibenden Erwählung des Volkes Israels keinen Zweifel hegte. Verblendet und blind war nicht die Synagoge, die man mit einer Augenbinde dargestellt hat. Verblendet und blind war die Kirche, die schlecht über Juden gesprochen und den Hass auf sie geschürt hat.


Im Gefolge von Luther wurde das Judentum bis in meine Schulzeit hinein als Gesetzesreligion diffamiert und schlechtgemacht. Da ist es mehr als ernüchternd, es ist beschämend, aus dem Mund jüdischer Zeitgenossen zu hören, dass sie die Tora nicht als Last empfinden. Sie sagen „Alle Gebote sind uns gegeben zum Leben. Sie machen uns nicht klein, im Gegenteil, sie fordern unseren Verstand in jeder Situation neu heraus, zu überlegen, wie dieses und jenes Gebot dem Leben dienen kann.“
So hat es Jesus ja auch gesehen. Er ist nicht gekommen, um die Tora mit ihren Geboten aufzulösen, sondern sie so zu leben, dass Gerechtigkeit und Liebe zunehmen. Judenfeindschaft ist das Gegenteil dessen, wofür Jesus eingetreten ist. So ist der christlich-jüdische Dialog ein Zurückkehren auch zu Jesus, der in einem intensiven Dialog mit den Juden seiner Zeit stand. Gewiss bleiben Unterschiede. Aber Unterschiede sollen nicht zu Vorurteilen und Feindschaft missbraucht werden, sondern zu einem besseren Verstehen und Akzeptieren des anderen. Das gilt übrigens für alle menschlichen Beziehungen und auch für eine Ehe. Die Unterschiede in einer Partnerschaft sollen nicht als Bedrohung empfunden werden, sondern als Bereicherung.


Vor kurzem kam ein Film in die Kinos mit dem Titel „Nicht ganz koscher“. In dieser bitterbösen Komödie knallen erst einmal Vorurteile aufeinander - bis aus einem Juden und einem Beduinen auf dem Weg nach Alexandria Freunde werden. Bewusst geht die Richtung dieses Roadmovies von Israel nach Ägypten. Die Botschaft des Films ist nicht weit von Jesus entfernt: Frieden ist immer möglich, wenn man sich als Mensch begegnet und als Menschen respektiert und offen ohne Arg aufeinander zugeht.


Und der Friede Gottes bewahre eure Gefühle und Gedanken in Christus Jesus.