Predigt am 5.3.2023 in der Pfarrei Rehweiler. Am vergangenen Sonntag haben wir besonders an unsere Glaubensgeschwister in Papua-Neuguinea gedacht. Heute lenken wir unseren Blick nach Äthiopien. Am zweiten Sonntag in der Passionszeit, Reminiszere, erinnert die Evangelische Kirche an die Christinnen und Christen, die wegen ihres Glaubens verfolgt werden.
Zwei Menschen aus Äthiopien werden in der Bibel erwähnt. Die eine erhält im 1. Buch der Könige einen prächtigen Auftritt: Die sagenhafte Königin von Saba kam. Sie hat von der Weisheit des Königs Salomo gehört und will ihn kennenlernen. Es heißt, dass ihn aufsuchte um ihn „mit Rätselfragen zu prüfen“. Dieses Quiz ist in der Bibel leider nicht dokumentiert.
Im Nationalepos Äthiopiens (dem Kebra Negest) wird erzählt, dass die Königin von Saba einen Sohn mit König Salomo als Vater hatte namens Menelik. Menelik begründete die Dynastie der Kaiser in Äthiopien, die es bis ins 20. Jh. gab. Menelik war es auch, der die Bundeslade in die Stadt Aksum im Norden des Landes überführt haben soll und hier soll sie sich bis heute befinden. Die historisch bedeutsame Stadt Aksum liegt in der Region Tigray, wo seit November 2020 Krieg herrscht.
Zurück zur Bibel.
Weniger märchenhaft geht es in der zweiten Geschichte zu, die im 8. Kapitel der Apostelgeschichte erzählt wird. Dort wird vom Schatzmeister am Hof der Königin Kandake in Äthiopen berichtet. Er war ein Gottesfürchtiger. Das heißt, er sympathisierte mit dem jüdischen Glauben an nur einen Gott und kam zu einem Wallfahrtsfest nach Jerusalem. Dort in Jerusalem kaufte er sich eine Jesajarolle. Auf der Heimfahrt las er darin. Dabei begegnete ihm Philippus. Er war mit anderen griechisch sprechenden Christen aus Jerusalem vertrieben worden und widmete sich der Mission. Philippus durfte zu dem Kämmerer in den Wagen steigen und deutete dann das Prophetenwort vom Gottesknecht auf Jesus. Der Schatzmeister kam zum Glauben an Jesus und ließ sich von Philippus taufen. Die Geschichte endet damit, dass der Schatzmeister fröhlich seine Heimreise fortsetzte. Die äthiopische Tradition führt den Beginn des Christentums in Äthiopien auf diesen Kämmerer zurück.
Das Christentum ist keine europäische Erfindung.
Es entstand nicht in Rom, schon gar nicht in Wittenberg oder Genf. Sein Ursprungsort ist der Nahe Osten, Palästina natürlich, aber auch Syrien und Teile der heutigen Türkei. Ebenso bedeutsam sind Regionen, an die deutsche Protestanten eher nicht denken würden: Ägypten, Armenien, Georgien und eben Äthiopien.
Es war Ezana (321-360), der König von Aksum, der das Christentum in seinem Reich stark machte. Das Reich des Königs Ezana galt damals als eines der großen Reiche der Erde.
Für sein Imperium brauchte Ezana eine imperiale Religion.
Deshalb verehrte er Christus wie einen himmlischen Kriegsherrn. Er sagte von Christus: „Der Herr ist stark und mutig, der Herr ist mächtig in der Schlacht.“ Oder: „Jesus Christus, der Siegreiche, an den ich glaube, der hat mir ein starkes Königreich gegeben.“
Hier spricht sich ein soldatisches Christentum aus, das heute befremdlich wirken mag. Aber jede alteingesessene oder neu eingeführte Religion muss auch soziale und politische Funktionen erfüllen.
Das äthiopische Christentum verdankt sich aber nicht allein der Politik. Es entwickelte sich durch eine tiefe klösterliche Spiritualität: zur Äthiopisch-Orthodoxen Kirche zählen über die Hälfte der Einwohner Äthiopiens. Man schätzt die Zahl auf über 50 Millionen in über 40.000 Gemeinden und 1500 Klöstern.
In dieser Kirche hat sich eine hohe Gelehrsamkeit entwickelt, von der wertvolle Handschriften zeugen.
Nicht zuletzt hat das äthiopische Christentum eine erstaunliche künstlerische Kraft entfaltet.
Als Beispiel sehen wir hier die Abbildung eines äthiopischen Flügelaltars. Er zeigt im Mittelteil den Gekreuzigten. Unter dem Kreuz stehen Maria und der Jünger Johannes. Auf den Seitenflügeln sind Szenen aus der Passionsgeschichte dargestellt. Man erkennt die äthiopische Ikonenmalerei an ihren kräftigen, klaren Farben. Es gibt keine Tiefenperspektive. Die Heiligen sind typisiert, damit sie von den Gläubigen leicht erkannt werden können.
Der Predigttext für den Sonntag Reminiszere ist die Gleichnis-Erzählung von den bösen Weingärtnern (Markus 12, 1-12).
Dieses Gleichnis im Markusevangelium hat wie die Geschichte vom Schatzmeister aus Äthiopien einen Bezug zu einem Text aus dem Buch des Propheten Jesaja. Denn bereits bei Jesaja findet sich ein Weinberggleichnis. Der Bezug zu diesem Gleichnis bei Jesaja ist offensichtlich und wird mitgehört. Dort geht es darum, dass Gott das Volk Israel auserwählt hat. Er hat Israel gepflanzt wie einen Weinberg. Weil er aber keine Früchte bringt, reißt er ihn aus.
Von Jesaja her hört man das Gleichnis im Markusevangelium so, dass Gott der Besitzer des Weinbergs ist. Die bösen Weingärtner verbindet man gedanklich mit den Juden. Weil sie den Forderungen des Weinbergbesitzers, den Geboten Gottes, nicht nachgekommen sind, nimmt er ihnen den Weinberg weg und gibt ihn anderen. Man hat das jahrhundertelang antijüdisch ausgelegt: Die Kirche sei an die Stelle der Synagoge getreten. Vom Mittelalter bis ins Dritte Reich hinein hat man pauschal den Juden vorgeworfen, dass sie die Schuld am Tod Jesu hätten und dafür büßen müssten. So hat man die schrecklichsten Verbrechen an Juden gerechtfertigt.
Tatsache ist aber: Nur wenige mächtige Juden haben Jesus an Pilatus ausgeliefert. Die Kreuzigung wurde von der römischen Besatzungsmacht durchgeführt. Darum kann man nicht pauschal alle Juden für die Machenschaften einzelner verantwortlich machen. Genauso wie man nicht alle Russen für den Wahnsinn Putins verantwortlich machen kann.
Was machen wir mit dem Gleichnis von den bösen Weingärtnern?
Für heute ist es genug, die Gefahr einer antijüdischen Auslegung hinzuweisen. Man geht in der Bibelwissenschaft heute davon aus, dass das Markusevangelium erst nach der Zerstörung Jerusalems fertiggestellt wurde. Das Gleichnis von den bösen Weingärtnern lässt zum einen die Spannungen und Konflikte erkennen, die es zwischen dem Judentum und dem entstehenden Christentum im 1. Jahrhundert gab. Zum andern versucht es den schwer verstehbaren Tod Jesu zu deuten.
Schlag die ganze dunkle Szene erhellt. Es bringt nach der finsteren Ankündigung von Gottes Gericht eine völlig überraschende Wende. Das Licht geht von einem Psalmvers aus: „Der verworfene Stein ist zum Eckstein geworden.“ Damit will das Gleichnis sagen: Jesus ist mehr als bloß ein letzter Prophet Israels. Er ist zum tragenden Stein geworden, der unser aller Leben trägt und stabilisiert. Das ist von Gott geschehen. Das heißt: Gott hat aus dem Tod Jesu etwas Gutes gemacht. Ja, im Tod und in der Auferweckung Jesu kommt Gottes große Liebe zum Ausdruck: „Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einzigen Sohn gab…“
Das ist der Kern des christlichen Glaubens, der sich am Ende des schwierigen Gleichnisses entdecken lässt.
Wir leben Gott sei Dank in einem freien Land. Dass Jesus verfolgt und getötet wurde, dass auch die meisten der zwölf Apostel wegen ihres Glaubens gewaltsam getötet wurden, können wir kaum nachvollziehen.
Es ist aber eine Tatsache, dass heute mehr Christen unterdrückt und verfolgt werden als je zuvor. Es gibt nicht nur die massive und direkte Unterdrückung und Verfolgung von Gläubigen – wie zurzeit in China, Indien, Nordkorea oder dem Iran. Es gibt auch kulturelle Formen der Verfolgung. Dabei sind die Verfolger selbst Christen oder sie nennen sich so. Im Irrlandkonflikt haben Katholiken gegen Protestanten gekämpft. Heute kämpfen orthodoxe Christen in der Ukraine gegeneinander. Und im Bürgerkrieg in Äthiopien ist es nicht anders. Da werden gezielt Kirchbauten, Klöster, Bildwerke des Glaubens, wertvolle Handschriften und Bücher, kostbare Instrumente des Gottesdienstes zerstört. Man zielt auf das kulturelle Erbe, um die Identität der Gegner zu zerstören. In Tigray werden geistlich-kulturelle Weinberge vernichtet, um Christinnen und Christen die ererbte Heimat zu nehmen. Und damit ihre Tradition und ihre Zukunft gleichermaßen auszulöschen.
Der Sonntag Reminiszere mutet uns zu, das wahrzunehmen.
Und wir werden aufgerufen, für die Christen zu beten, die unterdrückt und verfolgt werden.