Wir kommen von Weihnachten her. Von immer neuen Seiten schauen wir auf das Geheimnis, dass Gott selbst in Jesus uns Menschen nahegekommen ist. Wir machen uns bewusst, was das bleibend für den Glauben an Gott bedeutet.
Als Christen können und sollen wir nicht an Jesus vorbei an Gott glauben. In Jesus leuchtet uns auf, wer Gott ist und wie Gott ist.
Das hat der Apostel Paulus zutiefst erfahren vor Damaskus.
Im Brief an die Galater 1, 15-16 schreibt Paulus selbst von dieser buchstäblich umstürzenden Erfahrung:
„Gott hat mich von meiner Mutter Leib an ausgesondert und durch seine Gnade berufen, dass er seinen Sohn offenbarte in mir, damit ich ihn durchs Evangelium verkündigen sollte unter den Heiden.“
Paulus kann seine Bekehrung vor Damaskus kurz so zusammenfassen: Gott hat seinen Sohn in mir offenbart.
Man könnte auch sagen: Christus ist in mir geboren.
Das war sozusagen das Weihnachtserlebnis von Paulus.
Christus lebt in mir.
Das klingt für uns banal. Oder theoretisch-dogmatisch. Ist es aber nicht. Damit drückt Paulus aus, dass Christus lebt. Dass er ihm vertraut.
Denn Gott hat ihn auferweckt. Gott hat sich an diesen Jesus gebunden. Der rechte Weg zu Gott führt seitdem nicht mehr an Jesus Christus vorbei.
In Christus hat Gott die Welt mit sich versöhnt.
Dieses Geschenk der Liebe Gottes dürfen wir uns gefallen lassen.
Gott meint es gut mit uns.
Vor ihm brauchen wir keine Angst zu haben.
Der Gedanke an Gott soll uns nicht verunsichern.
Der Gedanke an Gott soll uns nicht in Angst und Schrecken versetzen. Der Gedanke an Gott soll uns beglücken.
Dafür steht Jesus. Jesus hat niemanden verdammt. Nicht die Ehebrecherin, die gesteinigt werden sollte. Nicht Petrus, der ihn verleugnet hat. Nicht Paulus, der die Christen verfolgt hat. Niemand!
In Jesus Christus begegnet uns Gott mit offenen Armen, die er uns zur Versöhnung entgegenstreckt.
Eltern machen das manchmal mit ihren Kindern, dass sie ihre Arme ausbreiten und rufen: Komm in meine Arme.
Das tut auch uns Erwachsenen gut, wenn uns jemand die Arme entgegenstreckt und uns Zuneigung spüren lässt.
Paulus erlebt seine Begegnung mit Christus vor Damaskus als Berufung. Er vergleicht diese Erfahrung mit der Berufung des Propheten Jeremia: Schon vor seiner Geburt hatte Gott diesen Plan mit ihm, dass er die Gute Nachricht von Jesus Christus überall auf der Welt bekannt machen soll. Aus seinen Worten spricht ein sehr starkes Sendungsbewusstsein!
Ging es Paulus dabei um seinen eigenen Ruhm, um seine Größe? Oder hat ihn die Größe und Herrlichkeit Jesu Christi derart erfüllt, dass er nicht anders konnte? Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über. Ich denke, es war Zweiteres. Es ging ihm nicht um die eigene Größe, sondern die Größe und Unwiderstehlichkeit Christi hat ihn ergriffen.
Weil Paulus so von Christus erfüllt ist, zieht es ihn in die ganze damals bekannte Welt. Er will seinen Glauben auch mit den Christen in Rom teilen. Darum stellt er sich ihnen mit einem Brief vor. Wir hören den Predigttext für den 22. Januar 2023 aus dem 1. Kapitel des Römerbriefes. Diese Stelle half Martin Luther zu einem reformatorischen Durchbruch. Es war für Luther wie der Eintritt ins Paradies. Paulus schreibt hier an die Christen in Rom:
13 Ich will euch eines nicht verschweigen, Schwestern und Brüder: Ich habe mir schon oft vorgenommen, zu euch zu kommen. Aber bis jetzt wurde ich immer daran gehindert. Denn ich wollte, dass meine Arbeit auch bei euch Frucht trägt wie bei den anderen Völkern. 14 Das bin ich allen schuldig – ganz gleich, ob sie Griechen sind oder nicht, gebildet oder ungebildet. 15 Wenn es nach mir geht – ich bin bereit, auch bei euch in Rom die Gute Nachricht zu verkünden. 16 Denn ich schäme mich nicht für die Gute Nachricht. Sie ist eine Kraft Gottes, die jeden rettet, der glaubt – an erster Stelle die Juden, dann auch die Griechen. 17 Denn durch die Gute Nachricht wird Gottes Gerechtigkeit offenbar. Das geschieht aufgrund des Glaubens und führt zum Glauben. So steht es schon in der Heiligen Schrift: »Aufgrund des Glaubens wird der Gerechte das Leben erlangen.«
Aus diesen Sätzen will ich drei Gedanken hervorheben:
1. Ein positives Schuldgefühl.
2. Eine furchtlose Schamlosigkeit.
3. Eine lustvolle Passivität.
1. Ein positives Schuldgefühl
Was meine ich mit dem positiven Schuldgefühl. Ein Schuldgefühl entsteht in der Regel, wenn man meint, etwas falsch gemacht zu haben, wenn man meint, gegen Regeln verstoßen zu haben. Manche plagt schon ein Schuldgefühl, wenn sie einmal länger schlafen. Sie haben vielleicht schon früh in ihrem Leben verinnerlicht, dass man früh aufstehen und arbeiten soll. Wenn sie dann einmal länger schlafen, machen sie sich Vorwürfe, obwohl das gar nicht nötig wäre.
Das wäre für mich ein negatives Schuldgefühl.
Nun empfindet Paulus aber ein positives Schulgefühl. Ein Schuldgefühl, das ihn nicht einengt, sondern das ihn antreibt in die ganze Welt zu gehen, nicht nur zu Juden, sondern auch zu Nichtjuden. Er fühlt sich gleichsam in einer Bringschuld, wenn er sagt: Ich bin allen das Evangelium schuldig. Das ist eine ganz eigene Art von Schuldgefühl. Ich nenne es ein positives Schuldgefühl. In diesem Schuldgefühl leuchtet die Bestimmung des Lebens auf. Es gilt, die Gute Nachricht mit anderen Menschen zu teilen und darauf zu achten, dass sie ihre Kraft entfaltet und Früchte trägt.
2. Dazu gehört Zweitens eine furchtlose Schamlosigkeit.
Paulus schreibt: Denn ich schäme mich nicht für die Gute Nachricht. Sie ist eine Kraft Gottes, die jeden rettet, der glaubt.
Für Jesus Christus brauchen wir uns nicht zu schämen. Jesus hat nichts Falsches gemacht.
Er hat niemanden verletzt. Im Gegenteil: Ihm geht es um Heilung.
Er hat Macht nicht missbraucht. Im Gegenteil: Er hat auf Gewalt verzichtet.
Er hat niemand zu etwas gezwungen.
Er hat zu Gott auf eine wunderbare Weise eingeladen, so sehr, dass er selbst zur Einladung Gottes wurde, der mit offenen Armen auf uns wartet. Von dieser Botschaft, von dieser Guten Nachricht geht eine Kraft aus, die wir heute noch spüren. Darum dürfen und können und sollen wir frei, ohne Zwang und ohne Scham von der Liebe Gottes in Jesus Christus erzählen. Das muss nicht mit Worten geschehen. Das geschieht viel authentischer durch unser Leben. Aber es ist nicht unsere Kraft, sondern es bleibt die Kraft Gottes.
3. Das führt zum dritten Gedanken einer lustvollen Passivität.
Diesen Ausdruck habe ich von Siegfried Zimmer. Lustvolle Passivität. Das ist eine spannungsvolle Aussage. Zum einen das Eigenschaftswort „lustvoll“ und zum anderen das Hauptwort „Passivität“. Sich passiv verhalten bedeutet, etwas geschehen lassen. Ich muss das Leben nicht machen. Das Leben ist da. Ich muss mich nicht darum kümmern, dass mein Herz schlägt. Es schlägt von allein. Das Leben ist mir geschenkt. Ich muss es nicht machen. Ich gehöre nicht mir selbst, sondern dem, der mich ins Leben gesetzt hat. Gott steht am Anfang. Paulus weiß das auch, wenn er mit Jeremia sagt: Gott hat mich schon im Leib meiner Mutter berufen. Von Anfang an hat Gott etwas mit mir vor. Und Gott ist es, der ein Ziel für mich und alle Menschen hat. Er will uns bei sich haben. Gott trägt uns alle zu diesem großen Ziel. Glaube bedeutet zu Gott zu sagen: „Wir lassen uns gern von dir tragen.“ Das Tragen können wir nicht selbst. Das kann und tut Gott. Wir können es nur geschehen lassen. Lustvoll, beglückt, passiv. Glauben ist eine lustvolle Passivität. Ich lasse mir die Liebe Gottes gefallen.
Ich wünsche uns, dass wir so unseren Glauben immer wieder miteinander teilen und feiern können. Das sind wir einander schuldig. Wir sind uns das Evangelium schuldig. Wir dürfen es uns schamlos immer wieder neu sagen. Und dankbar, beglückt und lustvoll von Gott tragen lassen.
Und der Friede Gottes, der alles Verstehen übersteigt, wird eure Herzen und Gedanken in der Gemeinschaft mit Jesus Christus bewahren.
Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Tag,
Hans Gernert