In Nürnberg steht seit 1987 auf dem Weg zum Hauptmarkt mitten auf der Straße eine Bronzeskulptur, das Narrenschiff. Eigentlich sollte es als Brunnen mit einem Wasserspiel versehen werden, was Stadtrat aber abgelehnt hat. So steht das Narrenschiff auf dem Trockenen.
Der Bildhauer Jürgen Weber wollte damit seine Sorge um die Welt ausdrücken. Das Schiff steht für die Erde, die vom Untergang bedroht ist durch Umweltzerstörung, Krieg und Gewalt. Man sieht auf dem Schiff allegorisch Adam und Eva, die aus dem Paradies vertrieben werden, man sieht Kain, der seinen Bruder Abel ermordet. Andere Szenen stammen aus einem mittelalterlichen Bestseller, den Sebastian Brant 1494 geschrieben hat: Das Narrenschiff. Das Schiff steht für die Gesellschaft, für den Staat. Brant nimmt die Laster und das menschliche Fehlverhalten aufs Korn: Habsucht, Kleidermoden, Ehebruch und dergleichen. Ein neuer Heiliger namens St. Grobian führt sich wie ein Flegel auf. Das Schiff mit den vielen Narren nimmt Kurs auf das fiktive Land Narragonien.
Wohin treibt unsere Welt? Befinden wir uns auf einem Narrenschiff? Mal von Fasching abgesehen? Mitunter kommt es uns vor, als ob die ganze Welt verrücktspielt.
Brant hält der Welt kritisch einen Spiegel vor und rät, auf den Weg der Weisheit und der Vernunft zurückzukehren.
Das Narrenschiff. – Schon lange vor Christus hat der griechische Philosoph Plato den Staat mit einem Schiff verglichen. Wenn sich die Schiffsleute einig sind, wer das Schiff steuern soll, dann wird das Schiff manövrierunfähig.
Wir bleiben beim Bild vom Schiff.
1942 wollten Juden in die Schweiz flüchten. Doch sie wurden nicht ins Land gelassen. Im Nachhinein kam für diese Zurückweisung die Redewendung auf: „Das Boot ist voll.“ Eine menschenverachtende, politische Parole.
Übervoll sind meist die Boote, mit denen Flüchtlinge übers Mittelmeer unterwegs sind. Manche wurden durch verbotene Push-backs schon zusätzlich in Not gebracht.
Die Migrationsdebatte löst in unserem Land derzeit viele Emotionen aus. Es gibt in vielen Bereichen einen Handlungsbedarf und die Herausforderungen sind groß. Aber man darf über allem die Menschlichkeit, die Achtung vor der Würde eines jeden Menschen nicht aus den Augen verlieren. Und Flüchtlinge nicht pauschal kriminalisieren.
Als Evangelium haben wir eine Bootsgeschichte gehört: Mk 4, 35-41 Jesus stillt den Sturm.
1) Dieses Boot ist voll …er Jünger.
Dieses Boot ist voll …er Menschen wie du und ich.
Die einen unter ihnen sind Geschwister: Simon und Andreas sind Brüder, ebenso Jakobus und Johannes. Sie sind miteinander aufgewachsen, haben ihr ganzes bisheriges Leben miteinander verbracht. Sie kennen sich. Mit allen Vor- und Nachteilen, die das hat.
Die anderen sind sich zuvor wahrscheinlich nie begegnet. Ein oder zwei verhasste Zolleinnehmer sind dabei. Auch Untergrundkämpfer gegen die Römer, sogenannte Dolchmänner. Sie kennen sich untereinander noch kaum. Wieder mit allen Vor- und Nachteilen, die das hat.
Keiner von ihnen hat sich diese Gemeinschaft von 13 Männern ausgesucht. Keiner konnte prüfen, worauf er sich da mit diesem Jesus und den anderen einlässt.
Nun sitzen diese sehr Verschiedenen alle im gleichen Boot.
Es beginnt zu stürmen.
Es ist dunkel und es ist spät.
In diesen wenigen Worten ist die Lage der Menschheit genauer erfasst als es irgendeine wissenschaftliche Analyse es je könnte.
Alle im gleichen Boot. Wir haben nur diese eine Erde gemeinsam!
2) Unser Boot ist voll…er Angst
Da erhob sich ein heftiger Sturmwind, und die Wellen schlugen ins Boot, und das Boot hatte sich schon mit Wasser gefüllt.
Unser Boot ist inzwischen nicht nur voller Wasser.
Unser Boot ist übervoll von Todesangst.
Wir kennen viele Ängste in unseren Tagen. Ängste vor Krieg. Ängste vor zunehmenden Spannungen in unserer Gesellschaft. Zukunftsängste aller Art, auch in der Kirche.
Unter den Jüngern waren immerhin etliche Fischer. Die sollten sich doch eigentlich mit starkem Wind und hohen Wellen auskennen: Die Brüderpaare Simon und Andreas, Jakobus und Johannes. Aber auch sie bestehen offenbar nur noch aus Angst.
Erlerntes? Hundertmal Erlebtes? Versammelte Fachkompetenz? Alles Fehlanzeige!
Bei solchem Wellengang spielt es keine Rolle, ob man schwimmen kann oder nicht. Eher, wie gut man sich festhalten kann, um nicht über die Reling gespült zu werden.
Für einmal sind die Jünger alle einig – in ihrer Angst.
Markus malt uns ein einprägsames Bild von solchen Augenblicken, in denen es um Leben und Tod geht. Da haben wir das Gefühl, Gott lässt uns im Stich. Er greift nicht ein.
Es ist schon merkwürdig, wie Markus das erzählt:
Jesus wacht nicht auf vom hohen Wellengang, von Nässe, Kälte und Lärm. Aber er lässt sich wecken von der Angst seiner Jünger.
Es klingt wie eine verzweifelte Klage: Meister, kümmert es dich nicht, dass wir untergehen?
3) Friedrich Hölderlin dichtete:
1 Nah ist / 2 Und schwer zu fassen der Gott.
3 Wo aber Gefahr ist, wächst / 4 Das Rettende auch.
Und er stand auf und bedrohte den Wind und sprach zu dem Meer: Schweig und verstumme! Und der Wind legte sich, und es entstand eine große Stille.
Und er sprach zu ihnen: Was seid ihr so feige? Habt ihr noch keinen Glauben?
Es ist dunkel. Es ist spät. Plötzlich ist es still.
Unser Boot ist immer noch voll – nun aber von Ehrfürchtigen.
Es heißt nach der Sturmstillung:
Und sie gerieten in große Furcht, und sie sagten zueinander: Wer ist denn dieser, dass ihm selbst Wind und Wellen gehorchen?
Gott ist an Bord.
Er sitzt in Jesus Christus mit uns im gleichen Boot.
Wir glauben es nicht, wir wissen:
Gott erspart uns nicht die Nacht und nicht den Sturm.
Aber in Jesus Christus ist er dabei. Mitten in unseren Nächten, mitten in den Stürmen.
Gott ist an Bord. Die Jünger haben – für einen Moment – keine Angst, sondern sie staunen ehrfürchtig. Und wir sind dabei.
Denn wir sitzen im gleichen Boot … in der Kirche.
Kirchenschiff sagen wir zum Raum vor dem Altar.
Wir sitzen im Kirchenschiff. Miteinander erleben wir Stürme unserer Zeit und unseres Lebens. So wie schon unserer Vorfahren.
Mag es zuweilen den Anschein haben, als wäre Gott fern und als schlafe er. Er ist doch da.
Von ihm geht Ruhe aus, Rettung und Kraft, den Sturm zu besiegen.
Mit ihm erreichen wir das rettende Ufer.
Den Sturm muss er bedrohen und zum Schweigen bringen.
Unser Text verströmt die Zuversicht: Er wird es tun.
Gott, lieber himmlischer Vater, manchmal habe ich Angst vor dem,
was die Zukunft bringen mag. Mir persönlich und auch der Menschheit. Mein Glaube ist so schnell klein, wenn die Sorgen groß werden.
Ich bitte dich: Lass mich erfahren, dass du größer bist als alles, was mir Angst macht, der du in der Einheit mit dem Sohn und dem Heiligen Geist lebst und regierst von Ewigkeit zu Ewigkeit.
Amen