Ich beglückwünsche Sie, dass Sie heute hier sind und dass Sie hier sein können, weil es Ihnen gesundheitlich und terminlich möglich ist.
Da leuchtet das Psalmwort hell:
„Ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar.“
Damals, bei Ihrer Konfirmation, haben Sie versprochen:
„Ich will unter Jesus Christus, meinem Herrn, leben,
im Glauben an ihn wachsen und in seiner Gemeinde bleiben.“
Dieses Versprechen hat Gestalt angenommen in Ihrem Leben:
Ihnen ist Jesus Christus, der Glaube und die Gemeinde wichtig.
Jesus Christus wird im Tagesevangelium als guter Hirte bezeichnet.
Was im Psalm 23 von JHWH, von Gott, ausgesagt wird, geht hier auf Jesus Christus über: Der HERR ist mein Hirte. Jesus Christus ist der gute Hirte. Diese Übertragung wurde möglich durch Ostern. Weil Gott Jesus auferweckt hat und sich mit Jesus identifiziert hat, darum sind Gott und Jesus nicht mehr voneinander zu trennen. Im Johannesevangelium klingt das so: Mein Vater kennt mich und ich kenne den Vater. Ich und der Vater sind eins.
Ich gehe davon aus, dass Jesus Christus zu Ihrem Leben gehört und dass Sie darauf vertrauen können: Ich gehöre zu Jesus, der für mich gestorben und auferstanden ist. In ihm finde ich mein Heil für Zeit und Ewigkeit. Ich will unter Jesus Christus, meinem Herrn leben…
Der zweite Punkt: Ich will im Glauben an Jesus Christus wachsen.
Wenn Sie auf Ihr Leben zurückschauen:
Können Sie bei sich ein Wachstum im Glauben feststellen?
Als Kind hat man ja einen angelehnten Glauben. Man übernimmt den Glauben von vertrauten Menschen ohne ihn groß zu hinterfragen. Das geschieht erst in der Jugendzeit. Diese kritische Phase ist wichtig, um zu einem selbstverantworteten Glauben zu kommen.
Im Jugendalter kann es zur Vertiefung oder auch zum Verlust des Glaubens an Gott kommen. Das Ja und das Nein zu Gott wird dabei an denselben Sachverhalten festgemacht.
Es sind im wesentlichen vier Fragestellungen, die zum Festhalten an Gott oder zum Verlust des Gottesglaubens führen:
1. Die Frage, warum Gott das Leid zulässt. Wenn Gott die Liebe ist, warum verhindert er dann nicht das Leid. Auf diese Frage gibt es keine intellektuelle Antwort. Manche entscheiden sich dann dafür, den Glauben an einen liebenden Gott aufzugeben. Ich finde es wichtig wahrzunehmen, dass die Frage nach dem Warum in den christlichen Glauben integriert wurde. Jesus selbst erleidet sie am Kreuz, als er betet: Mein Gott, warum hast du mich verlassen? Der christliche Glaube hat wie keine andere Religion gerade diese Frage integriert und als Frage stehen gelassen. Einen stärkeren und ehrlicheren Umgang damit gibt es nicht. Am Kreuz wird der Zweifel an Gott in den Glauben aufgenommen und ausgehalten.
Im Tagesevangelium kommt das vor in dem Satz: Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe. Er ist zum Äußersten bereit, um die Herde zu retten.
2. Die zweite Einbruchstelle für den Verlust des Gottesglaubens ist die Frage nach dem Anfang und Ende.
Woher kommt das Leben! Wo geht es hin?
Wie verhält sich der Schöpfungsglaube zur Evolutionstheorie?
Gibt es ein Leben nach dem Tod?
Wissenschaftliche Antworten gibt es hier nicht.
Jede Antwort ist eine Antwort des Glaubens.
Im Evangelium hören wir vom guten Hirten: Ich gebe ihnen das ewige Leben. Der Glaube sieht die Welt und das Leben in einem weiten Horizont. Wir sind nicht zufällig da. Wir sind von Gott gewollt. Und das Leben endet nicht im Nichts. Wir sind in Gottes Hand geborgen.
Im Tagesevangelium sagt der gute Hirten von den Seinen: „und sie werden nimmermehr umkommen und niemand wird sie aus meiner Hand reißen.“
3. Die dritte Einbruchstelle für den Verlust des Gottesglaubens ist das Bewusstwerden, dass unsere Vorstellungen von Gott unsere eigenen Einbildungen sind.
Wenn junge Menschen durchschauen, dass sie selbst es sind, die sich eine Vorstellung von Gott machen, geben viele von ihnen Gott preis.
Liebe Gemeinde! Auch ich kenne diesen Zweifel, ob ich mir Gott nicht nur einbilde. Den Zweifel, ob es denn Gott jenseits meiner Einbildung gibt. Dieser Zweifel lässt sich nicht durch Diskussionen vertreiben. Dieser Zweifel kann nur durch eine neue lebendige Erfahrung Gottes überwunden werden: Wenn ich von der größeren Wirklichkeit Gottes berührt und ergriffen werde. Das kann ich nicht selbst machen. Das ist ein Geschenk.
Dass wir uns Bilder von Gott machen, geht nicht anders. Wir sollten uns nur bewusst sein, dass alle Bilder begrenzt sind und Gott nie ganz erfassen können. Zwei schöne Bilder finde ich im Tagesevangelium: Das Bild vom guten Hirten, der sich um jedes einzelne Schaf sorgt und der darum bemüht ist, dass niemand verloren geht. Und das andere Bild ist das von der Hand Gottes, in der wir geborgen sind. Diese beiden Bilder sind nicht meine Bilder, sind biblische Bilder. Sie tragen in sich eine Kraft, die mich zum Vertrauen auf Gott bewegt.
4. Eine vierte Einbruchstelle für den Verlust des Gottesglaubens ist ein unglaubwürdiges Verhalten von Christen und der Kirche als Institution. Wenn ich in die Kirchengeschichte schaue, dann gibt es viele Dinge, die dem Kern der christlichen Botschaft widersprechen: ein fanatischer Umgang mit Andersgläubigen, Kreuzzüge, Hexenwahn, Mission durch Zwang, Missbrauch von Macht und Geld. Sicher gibt es auch eine sich durchziehende Segensgeschichte, aber – Gott sei’s geklagt – auch eine Geschichte des Versagens.
Manche von Ihnen haben auch Gewalt erlebt durch Pfarrer und Lehrer. Diese schlimmen Erfahrungen sind bei Gesprächen mit älteren Gemeindegliedern immer wieder ein Thema.
Die Prügelstrafe in Schulen wurde erst 1973 abgeschafft und verboten. Manche haben durch erlebte Gewalt ein gespaltenes Verhältnis zur Kirche und zu Gott. Vielleicht sind manche Jubilare auch deshalb heute nicht hier.
Die andere Frage ist, ob es ein Wachsen im Glauben gibt ohne die Gemeinschaft und den Austausch mit anderen Christen.
Kirche, das ist ja nicht nur die Institution, das sind nicht nur die hauptamtlich Mitarbeitenden. Das sind alle Getauften, die die Stimme des guten Hirten hören und ihr folgen.
Liebe Jubilare, liebe Gemeinde!
Vielleicht würden Sie es selbst nicht so sagen.
Aber sehen Sie einmal so: Sie sind heute hier, weil Sie die Stimme des guten Hirten gehört haben. Er ist es, der uns immer wieder zu sich ruft. Der uns den Tisch deckt im Angesicht der Widrigkeiten des Lebens.
Er schenkt uns voll ein.
Er sorgt dafür, dass Gutes und Barmherzigkeit immer wieder in unserem Leben eine Realität wird.
Darum ist es ein gutes Versprechen, das wir bei der Konfirmation gemacht haben: Ich will unter Jesus Christus, meinem Herrn, leben, im Glauben an ihn wachsen und in seiner Gemeinde bleiben.