Das Vaterunser wird nicht nur in der Bergpredigt bei Matthäus überliefert, sondern etwas kürzer auch bei Lukas.
Lukas erzählt, wie ein Jünger Jesus bittet: Herr, lehre uns beten.
Und Jesus geht auf diese Bitte ein und spricht zu allen: "Wenn ihr betet, so sprecht: Vater! Dein Name werde geheiligt..."
Wenn man so will, dann ist das schon eine Gebetserhörung.
Da bittet ein Mensch um die rechten Worte zum Beten.
Und Jesus erhört diese Bitte.
Es ist gut, Worte zu haben, wenn man selbst unsicher ist, was man denn beten soll.
Darauf geht Martin Luther in einem Brief an seinen Friseur Peter ein. Ein Rat von vielen ist darin, die einzelnen Bitten aus dem Vaterunser zu wiederholen und dadurch zu vertiefen.
Luther wörtlich: Allerdings kommt es oft vor, dass ich bei einer Bitte in so reiche Gedanken mich ergehe, dass ich die andern sechs Bitten alle anstehen lasse. Und wenn einem gleichfalls solche reiche, gute Gedanken kommen, so soll man die andern Bitten fahren lassen und diesen Gedanken Raum geben und ihnen in Stille zuhören und sie beileibe nicht hindern. Denn da predigt der heilige Geist selber, und ein Wort von seiner Predigt ist besser als von unsern Gebeten tausend; und so habe ich auch in einem Gebet oft mehr gelernt, als ich aus vielem Lesen und Nachsinnen hätte kriegen können.
Mir kommen auch diese Worte Luthers recht aktuell vor, wenn er schreibt: Ich sauge noch heutigentages am Vaterunser wie ein Kind; ich trinke und esse davon wie ein erwachsener Mensch, und kann seiner nicht satt werden; es geht mir sogar über den Psalter, den ich doch sehr lieb habe, als das allerbeste Gebet. Fürwahr, es zeigt sich, dass der rechte Meister es formuliert und gelehrt hat, und es ist ein Jammer über Jammer, dass dieses Gebet eines solchen Meisters so ohne alle Andacht zerplappert und zerklappert werden soll in aller Welt. Viele beten in einem Jahr vielleicht einige tausend Vaterunser, und wenn sie tausend Jahre so beten würden, so hätten sie doch noch keinen Buchstaben oder Punkt davon verschmeckt und gebetet. Kurz, das Vaterunser ist der größte Märtyrer auf Erden. Denn jedermann plagt es und missbraucht es; nur wenige trösten es und machen es fröhlich, indem sie es recht gebrauchen.
Mit diesen Worten Luthers zum Vaterunser wollte ich den Zusammenhang verdeutlichen, in dem die folgenden Worte Jesu stehen.
Jesus unterstreicht mit Bildern aus dem Familienleben wie Gott als Vater auf unser Hören achtet, und dass er uns eine Bitte auf jeden Fall nie ausschlägt. Es ist nicht die Bitte nach Erfolg, Geld, Gesundheit oder dergleichen, sondern die Bitte nach dem Heiligen Geist.
Wenn nun ihr euren Kindern gute Gaben geben könnt, wie viel mehr wird der Vater im Himmel den Heiligen Geist geben denen, die ihn bitten!
Aber schauen wir etwas genauer hin.
Jesus erzählt von einer Freundschaft. Er idealisiert nicht. Eine Freundschaft muss auch Ärger verkraften. Da weckt einer seinen Freund mitten in der Nacht aus dem Schlaf. Der Freund ärgert sich, dass er mitten in der Nacht gestört wird. Wegen der Freundschaft allein hätte er nicht aufgemacht. Aber weil der Freund so unverschämt ist und nicht aufhört zu klopfen und dadurch die Kinder aufweckt, steht er doch auf und gibt ihm die Brote. Wenn unverschämtes Bitten schon bei Menschen Erfolg hat, dann erst recht bei Gott.
Dann kommt in der Bibel ein fett markiertes Wort, das wie eine Zusammenfassung klingt, wie die Moral von der Geschichte vom bittenden Freund:
Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan. Denn wer da bittet, der empfängt; und wer da sucht, der findet; und wer da anklopft, dem wird aufgetan.
Meist hören wir nur den ersten Teil: Bittet, so wird euch gegeben.
Wir werden ermutigt, unserm Vater im Himmel unsere Bitten und Anliegen vorzutragen. Rogate: Betet! Bittet, so wird euch gegeben.
Was uns durch das Gebet gegeben wird, bleibt offen. Es kann Hoffnung sein, Weisheit für eine Entscheidung, Mut zum nächsten Schritt oder zu einer Veränderung, neues Vertrauen, Liebe usw.
Der zweite Teil hat es auch in sich: "suchet, so werdet ihr finden".
Wir werden nicht nur zum Bitten, sondern auch zum Suchen ermuntert. Das heißt im Umkehrschluss: Gib dich nicht mit dem zufrieden, was du schon hast. Im Blick auf Gott bleiben wir Suchende. Wer sich schon früh in einem festen Gedankengebäude eingerichtet hat, der steht in der Gefahr, dass ihm diese Behausung zu einem Gefängnis wird.
Jede Art von Fundamentalismus ist letztlich ein Gefängnis ohne dass man es selbst bemerkt, wie man ein Gefangener in einem festen Gedankengebäude ist. Man meint, die Wahrheit für alle gefunden zu haben und will sie anderen überstülpen. Doch gerade so verfehlt man das Leben und die Menschlichkeit; der Glaube erstarrt. Um aus falschen Sicherheiten und vermeintlicher Richtigkeit herauszufinden, braucht es Mut und Offenheit: "Suchet, so werdet ihr finden".
Suchen allein kann andererseits auch kein Dauerzustand sein. Suchen ist mühsam. Und wer nur im Modus des Suchens lebt, der wird sich auch schwer tun im Leben. Wer immer nur sucht, mag Gefahr laufen, sich hoffnungslos im Dschungel religiöser und philosophischer Vielfalt zu verirren.
Zum notwendigen Suchen nach dem tragenden Grund, nach Antworten oder Lösungen kommt nun eine Erfahrung, die in dem kurzen Wort enthalten ist: "suchet, so werdet ihr finden". Es ist die Erfahrung, dass das Suchen belohnt wird - ohne unser Zutun, von außen, von anderer Seite wird es beantwortet. Das geschieht, wenn uns Gottes Nähe erfüllt in einem Moment, den wir nicht selbst schaffen können. Bleiben wir auf der Suche, bleiben wir offen dafür, dass Gott uns findet. Er weiß selbst, wann wir ihn besonders brauchen.
Nach diesem zusammenfassenden Wort kommen noch zwei Bildworte:
"Wo ist unter euch ein Vater, der seinem Sohn, wenn der ihn um einen Fisch bittet, eine Schlange für den Fisch biete? Oder der ihm, wenn er um ein Ei bittet, einen Skorpion dafür biete?"
Also, kein Vater bringt seinem Kind eine giftige Schlange oder einen gefährlichen Skorpion. So ist Gott auch nicht. Er ist kein Sadist, der sich an unserem Unglück erfreuen würde. Im Gegenteil. Gott ist anders. Er ist gut.
Und eine Bitte wird er auf jeden Fall immer erfüllen: Die Bitte um seine Nähe und seinen Beistand, die Bitte um den Heiligen Geist:
Wenn nun ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gute Gaben geben könnt, wie viel mehr wird der Vater im Himmel den Heiligen Geist geben denen, die ihn bitten!
Die Bitte um den Heiligen Geist ist für mich das Gegenteil vom Bösesein. Es ist ja so, dass wir unseren Kindern nicht nur Gutes mitgeben. Oft genug bekommen sie seelische Hypotheken mit, ungelöste Konflikte, einen Mangel an bedingungsloser Liebe, eigene seelische Defizite und manches mehr. Da ist so manches, das der Heilung bedarf. Manches, was erstarrt ist und auf Verlebendigung wartet. Menschlichkeit, die auf der Strecke geblieben ist. Opfersein, das an andere weitergegeben wird.
Um da herauszufinden, braucht es den Mut, um Gottes Geist zu bitten und bereit zu sein, sich von Gottes Geist führen zu lassen.
Wir brauchen den Geist Gottes. Um diesen Geist beten wir heute besonders in den Fürbitten.
Ich schließe mit Luther: Zuletzt beachte: Das „Amen“ musst du jedesmal stark machen; du darfst nicht daran zweifeln, dass Gott dir gewiss mit allen Gnaden zuhört und Ja zu deinem Gebet sagt.
Lukas 11, 1-13 (Basis-Bibel):
1Einmal hatte sich Jesus zurückgezogen, um zu beten. Als er sein Gebet beendet hatte, bat ihn einer seiner Jünger: »Herr, sag uns, wie wir beten sollen. Auch Johannes hat seine Jünger beten gelehrt.« 2Da sagte Jesus zu ihnen: »Wenn ihr betet, dann so:
Vater, dein Name soll geheiligt werden.
Dein Reich soll kommen.
3Gib uns heute unser tägliches Brot.
4Und vergib uns unsere Schuld –
denn auch wir vergeben allen,
die an uns schuldig werden.
Stell uns nicht auf die Probe.«
5Dann sagte Jesus zu seinen Jüngern: »Stellt euch vor: Einer von euch hat einen Freund. Mitten in der Nacht geht er zu ihm und sagt: ›Mein Freund, leih mir doch drei Brote! 6Ein Freund hat auf seiner Reise bei mir haltgemacht. Ich habe nichts im Haus, was ich ihm anbieten kann.‹ 7Aber von drinnen kommt die Antwort: ›Lass mich in Ruhe! Die Tür ist schon zugeschlossen, und meine Kinder liegen bei mir im Bett. Ich kann jetzt nicht aufstehen und dir etwas geben.‹ 8Das sage ich euch: Schließlich wird er doch aufstehen und ihm geben, was er braucht –wenn schon nicht aus Freundschaft, dann doch wegen seiner Unverschämtheit.
9Ich sage euch: Bittet und es wird euch gegeben! Sucht und ihr werdet finden! Klopft an und es wird euch aufgemacht! 10Denn wer bittet, der bekommt. Und wer sucht, der findet. Und wer anklopft, dem wird aufgemacht. 11Welcher Vater unter euch gibt seinem Kind eine Schlange, wenn es um einen Fisch bittet? 12Oder einen Skorpion, wenn es um ein Ei bittet? 13Ihr Menschen seid böse. Trotzdem wisst ihr, was euren Kindern guttut, und gebt es ihnen. Wie viel mehr wird der Vater im Himmel den Heiligen Geist denen geben, die ihn darum bitten.«