Der Palmsonntag eröffnet die Karwoche. Wir gehen den Weg Jesu mit, seinen Einzug in Jerusalem, das letzte Mahl mit den Jüngern, seine Gefangennahme, Verurteilung und Kreuzigung – bis hin zu Ostern.
Das Johannesevangelium ist anders aufgebaut als die drei anderen Evangelien. Im Kapitel 13 wird anstelle des letzten Mahles Jesu erzählt, wie Jesus den Jüngern die Füße gewaschen hat. Kapitel 14-16 sind lange Reden, in denen Jesus seine Jünger auf seinen Abschied vorbereitet. Im Kapitel 17 – man könnte sagen anstelle des Gebetskampfes Jesu in Gethsemane – überliefert Johannes ein langes Gebet Jesu. An dieses schließt sich im Kapitel 18 die Gefangennahme Jesu an. Unser Predigttext ist der Beginn dieses langen Gebetes Jesu Joh 17, 1-8. Der Evangelist Johannes nimmt uns da in seine Sicht Jesu mit hinein. Mehr noch. Er will uns in die Beziehung Jesu zu Gott mit hineinnehmen. Bevor wir weiterlesen und vom Leiden und Sterben Jesu hören, werden wir in eine tiefe Schau des Geschehens hineingenommen. Jesus wird zu Gott zurückkehren, von dem er gekommen ist. Wir werden selbst zu Betenden, die das Gebet Jesu mitsprechen. Deswegen beginnt es in der 3. Person, so als ob wir zuerst beten: Vater, die Stunde ist gekommen. Verherrliche deinen Sohn, dass der Sohn dich verherrlicht… und dann betet Jesus weiter in der 1. Person: Ich habe dich verherrlicht auf der Erde… Und nun verherrliche mich, du, Vater…
Es ist gewollt, dass wir das Gebet Jesu mithören, mitbeten. Wir sollen erkennen, dass Jesus und Gott ganz eng zusammen sind. Bei aller Entsprechung und Übereinstimmung zwischen Gott und Jesus bleibt Gott aber dennoch ein Gegenüber auch für Jesus. Jesus führt hier kein Selbstgespräch.
Ich lese Johannes 17, 1-8:
Jesus hob seine Augen auf in den Himmel und sprach: Vater, die Stunde ist gekommen. Verherrliche deinen Sohn, dass der Sohn dich verherrlicht, wie du ihm gegeben hast Vollmacht über alles Fleisch, dass er ewiges Leben gebe allen, die du ihm gegeben hast. Das aber ist das ewige Leben, dass sie dich erkennen, den einzigen wahren Gott, und den du gesandt hast, Jesus Christus. Ich habe dich verherrlicht auf der Erde, habe die Arbeit vollendet, die du mir gegeben hast, dass ich sie tun soll. Und nun verherrliche mich, du, Vater, mit derselben Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, ehe die Welt war. Ich habe deinen Namen aufleuchten lassen den Menschen, die du mir aus der Welt heraus gegeben hast. Sie waren dein und du hast sie mir gegeben, und sie haben dein Wort bewahrt. Nun haben sie erkannt, dass alles, was du mir gegeben hast, von dir ist. Denn die Worte, die du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben, und sie haben sie empfangen und haben wahrhaftig erkannt, dass ich von dir ausgegangen bin, und sind zum Glauben gekommen, dass du mich gesandt hast.
Liebe Gemeinde!
Ich will dieses Gebet mit Ihnen meditieren.
Die Stunde ist gekommen, sagt Jesus. Wir sprechen auch manchmal davon, dass dem oder jenem die letzte Stunde geschlagen hat.
Wir sprechen von schweren Stunden und von schönen Stunden im Leben. „Mach es wie die Sonnenuhr, zähl die heitern Stunden nur“, ist so ein Poesiespruch, der zu Dankbarkeit und Zufriedenheit rät. Nur die heitern Stunden zählen. Es tut der Seele gut, wo das gelingt.
Jesus sieht voraus, dass seine Stunde gekommen ist. Sie wird aber nicht Stunde des Todes genannt. Vielmehr wird die Stunde mit der Verherrlichung Jesu verknüpft. Also eigentlich mit dem Gegenteil von dem, was wir erwarten würden.
Verherrlichen meint zum einen: Gott die Ehre geben. Jesus hat Gott verherrlicht, er hat ihm Gewicht gegeben, ihn wichtig gemacht. Jesus hat dafür gesorgt, dass Gott nicht leicht zu nehmen ist. Wer Jesus begegnet ist, der konnte Gott nicht einfach ignorieren.
Gott die ihm gebührende Ehre geben, Gott das ihm zukommende Gewicht geben, ist die eine Seite von Verherrlichen.
Die andere Seite klingt aber auch immer mit: Verherrlichen hat mit Glanz zu tun, mit Leuchtkraft. „Ich habe dich verherrlicht auf Erden“, heißt darum auch: Ich habe dir Glanz verschafft, habe daran gearbeitet, dass du glänzend dastehst, dass der Glanz und das Licht deiner Gegenwart aufleuchtet auch auf der Erde. Indem Jesus Menschen mit Gott verbindet, schenkt er erfülltes Leben für jetzt und auf ewig.
Was Jesus in diesem Gebet tut: Er zieht Bilanz. Er hat von Gott eine Aufgabe übernommen. Nun hat er sie erfüllt und vollendet. Ich habe dich verherrlicht auf der Erde, habe die Arbeit vollendet, die du mir gegeben hast, dass ich sie tun soll. Jesus hat Gott verherrlicht. Darüber gibt er Gott im Gebet Rechenschaft.
Und jetzt ist Gott selbst dran. Er soll Jesus recht geben und hinter ihm aufleuchten, indem er Jesus verherrlicht, indem er Jesus Gewicht gibt und ihn zum Licht der Welt macht. Indem er Gott bittet, ihn zu verherrlichen, überlässt er sich ganz Gott. Und nun verherrliche mich, du, Vater, mit derselben Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, ehe die Welt war. Ich habe deinen Namen aufleuchten lassen den Menschen, die du mir aus der Welt heraus gegeben hast.
Jesus bittet also Gott, dass in dem schrecklichen Geschehen, das nun beginnt, nicht der Tod triumphiert und alles vernichtet, was in Jesus auf Erden zum Leuchten kam, sondern das Leben siegt, der Name und die Treue Gottes wiederum aufleuchtet. Die Verherrlichung, um die er bittet, bezieht sich also nicht nur auf seine Zukunft. Die Verherrlichung soll auch rückwärts leuchten und Jesu bisheriges Leben, seine getane Arbeit, ans Licht und zum Leuchten bringen.
Auf den ersten Blick scheint es, als sei diese Bitte nicht erhört worden. Denn die Stunde, die Jesus jetzt geschlagen hat, ist die Stunde seiner Kreuzigung. Und da sehen wir nicht, dass er verherrlicht wird, zu Ehren kommt. Vor unseren Augen ist ein verachteter, verspotteter, gequälter Mensch: kein herrlicher Glanz, keine Pracht, nur Elend und Schande.
Und doch besteht der Erzähler auf seinem Bekenntnis: Und wir sahen seine Herrlichkeit. Was hat er da gesehen? Im Evangelium vom Einzug Jesu in Jerusalem haben wir vorhin gehört: Das verstanden seine Jünger zuerst nicht; doch als Jesus verherrlicht war, da dachten sie daran, dass dies von ihm geschrieben stand und man so an ihm getan hatte.
Das Johannesevangelium gibt uns also immer wieder Hinweise zum Verstehen. Die Jünger haben erst nach Ostern erkannt, wer Jesus wirklich ist und wer sie sind. Jesus betet: Sie waren dein und du hast sie mir gegeben, und sie haben dein Wort bewahrt. Nun haben sie erkannt, dass alles, was du mir gegeben hast, von dir ist. Denn die Worte, die du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben, und sie haben sie empfangen und haben wahrhaftig erkannt, dass ich von dir ausgegangen bin, und sind zum Glauben gekommen, dass du mich gesandt hast.
Der Glaube sieht tiefer. Er sieht nicht nur das gewaltsame Ende Jesu am Kreuz. Er sieht auch von Ostern her, dass Gott den Gekreuzigten erhöht hat, verherrlicht hat, für herrlich erklärt hat.
Das heißt: Gegen unseren Augenschein hat Gott diese Bitte Jesu erhört.
So wie der Prophet Ezechiel die Herrlichkeit, den Glanz und den Ehrenschein des Gottes Israels mit seinem Volk ins Exil gehen sah. Das ist die Art von Gottes Herrlichkeit: Sie geht mit ins Elend. Gerade dadurch wird der Name Gottes offenbar und zum Leuchten gebracht, der Name, der bedeutet: ich werde da sein, ich werde mit dir sein.
Er ist da bei den Elenden, den Geschändeten und Gedemütigten. Weil Gott sich auf die Seite des gefolterten und ermordeten Jesus gestellt.
Die Pracht und Herrlichkeit der Herrscher dieser Welt wird vergehen. Gott verherrlicht nicht die Gewalt, er verherrlicht den, der seine Liebe zum Leuchten bringt.
Das ist die frohe Botschaft des heutigen Sonntags: Gott hat das Gebet Jesu erhört hat. Gott hat Jesus nicht im Stich gelassen, sondern verherrlicht. Zu dieser Erkenntnis sollen wir kommen: Sie haben wahrhaftig erkannt, dass ich von dir ausgegangen bin, und sind zum Glauben gekommen, dass du mich gesandt hast.
Möge Gott uns diese Gewissheit in uns stärken und erhalten: Jesus hat Gott verherrlicht und Gott hat Jesus verherrlicht.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Ich wünsche Ihnen eine gesegnete Karwoche,
Ihr Pfarrer Hans Gernert