Liebe Gemeinde, liebe Jubilare! An einem Tag wie diesem steht einem das ganze Leben vor Augen. Wer sich an seine Taufe und an seine Konfirmation erinnert, der wirft einen besonderen Blick auf sein Leben. Dieser Tag will und kann eine Quelle der Inspiration sein.
Inspiration hat mit Verlebendigung zu tun. Wörtlich übersetzt heißt Inspiration „Einhauchen von Leben, Ausstatten mit Geist.“
Wir brauchen Orte und Worte, durch die wir inspiriert werden.
Für mich zählen da die Kirchen und die in ihr hörbaren Worte dazu.
Ursula und Wolfgang Gast haben 2001 im Vier-Türme-Verlag Münsterschwarzach ein Buch herausgegeben: „Paarweise. Ein Lobgesang auf ein Leben zu zweit.“ Sie sprechen davon, dass es hilfreich ist, wenn ein Paar einen privaten Mythos pflegt. Sie meinen damit eine gemeinsame Geschichte, ein gemeinsames Bild oder Symbol, über das sich beide miteinander verbunden wissen. Bei ihnen ist es das Bild, dass einer im anderen seine zweite Hälfte gefunden hat. Mit diesem Bild spielen sie. Es ist für sie eine Quelle der Inspiration.
Wenn sie nach Nürnberg kommen, gehen sie immer in die Lorenzkirche. Dort wurden sie getraut. Und dann haben sie ein Ritual: sie nehmen sich bei der Hand, laufen vor zum Altar, schauen sich innig an und freuen sich, dass sie immer noch zusammen sind und sich lieben. – Heute sind Sie mit anderen Jahrgängen zusammen in die Kirche eingezogen wie damals an ihrer grünen Konfirmation. Sie schauen sich forschend an und freuen sich hoffentlich auch, dass Sie einander wiedersehen. Und Ihnen bedeutet der Glaube noch etwas wie dem Paar die gegenseitige Liebe nach vielen Jahren.
Die Kirche als Ort der Inspiration.
Inspirierend ist für mich im Kontext des heutigen Predigttextes die Unterscheidung des Paulus zwischen einem Leben aus dem Fleisch und einem Leben aus dem Geist im 8. Kapitel des Römerbriefes.
Diese Unterscheidung macht etwas mit mir.
Sie nötigt mich, genauer hinzuschauen, mein Leben bewusster wahrzunehmen und bewusster zu leben.
Das Leben aus dem Fleisch ist die Sphäre des Irdischen, der Bereich der Vergänglichkeit. Fleischliches Lebens sorgt sich um sich selbst, ist mit sich selbst beschäftigt, kennt keine Perspektive über den Tod hinaus, sieht den anderen nicht und sieht vor allem Gott nicht.
Ein solches Leben führt in den Tod. Alles Fleisch ist Gras und verdorrt, so heißt es schon bei Jesaja (40, 5-6). Nur das Wort Gottes bleibt in Ewigkeit.
Genauso stellt Paulus dem Leben aus dem Fleisch das Leben aus dem Geist gegenüber, das Leben aus der Sphäre Gottes. Das Leben aus dem Geist ist nicht auf sich selbst, sondern auf Gott bezogen, es lässt sich heilsam von sich selbst ablenken. Paulus sagt: Alle, die sich vom Geist Gottes regieren lassen, sind Kinder Gottes. Voller Vertrauen reden sie Gott als ihren lieben Vater an. Gottes Geist hat Jesus von den Toten auferweckt. Wenn nun derselbe Geist in uns wirkt, dann haben wir schon jetzt Anteil an dem neuen Leben, an dem ewigen Leben, das er schenkt. Denn der Geist verbindet uns mit Gott, er macht uns zu Gottes Kindern.
Wenn wir jetzt unseren geistlichen Puls fühlen würden, wenn wir unseren Alltag anschauen, dann könnte unser Blick zuerst auf unsere Schwächen und Mängel fallen. Das gesteht auch Paulus zu. Auch wenn vieles nicht vollkommen ist – der Geist ist Gottes Kraft, die stärker ist als alles andere. Hier setzt unser Predigtabschnitt ein:
Der Geist hilft unserer Schwachheit auf.
Schwachheit gehört zu unserem irdischen Dasein.
Wenn wir an unsere körperlichen Grenzen kommen, spüren wir Schwachheit. Wenn man die 40 überschritten hat, lassen die körperlichen Kräfte nach.
Schwachheit erleben wir auch im Bereich des Wollens. Wir wollen das Gute, und schaffen es doch nicht. Klar, wir sind gegen Hass, Gewalt, Feindschaft, Armut, Hunger, Krieg und Umweltzerstörung – doch unser Handeln widerspricht nur zu oft unserem Wollen.
Schwachheit spüren wir auch geistlich – und das hat Paulus im Blick: Wir hätten gern einen starken Glauben, eine fröhliche Ausstrahlung, eine tiefe Hoffnung und eine enge Verbundenheit mit Gott – doch oft genug empfinden wir eher das Gegenteil. Wir sind nicht vollkommen. Das ist auch beim Beten so. Darum will Paulus aufbauen und sagt:
Der Geist hilft unserer Schwachheit auf. Denn wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich's gebührt; sondern der Geist selbst vertritt uns mit unaussprechlichem Seufzen. Der aber die Herzen erforscht, der weiß, worauf der Sinn des Geistes gerichtet ist; denn er vertritt die Heiligen, wie es Gott gefällt.
Der Geist kommt uns also zu Hilfe. Er überwindet unsere Schwachheit, er betet selbst in uns, vertritt uns vor Gott, ja bringt uns gleichsam zu Gott zurück. Vielleicht erleben wir das in diesem Gottesdienst.
Und dann formuliert Paulus einen starken Satz: Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, denen, die nach seinem Ratschluss berufen sind.
Denen, die Gott lieben, denen, die Gott ganz und gar vertrauen – denen geschieht alles zum Besten.
Was ist das Beste? Wenn man eine Umfrage starten würde, was gut, was besser und was das Beste sei, dabei kämen gewiss ganz unterschiedliche Antworten heraus.
Kinder in der Grundschule antworteten auf die Frage, was gut für sie ist: Wenn wir gute Noten haben, vor allem im Übertrittszeugnis. Dann können sie auf eine höhere Schule gehen.
Gut ist, wenn ich mit dem Computer spielen kann, wenn ich mit Freunden spielen kann, wenn ich gesund bin, wenn wir uns vertragen. Bei den Erwachsenen würden die Antworten etwas anders ausfallen und bei Älteren nochmal anders.
Gut ist, wenn ich meine Arbeit nicht verliere.
Gut ist, wenn ich noch selbst aufstehen und mich versorgen kann.
Hinter diesen Aussagen werden unsere Wünsche sichtbar, die wir ans Leben haben und die mit den Jahren in der Regel bescheidener werden.
Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen... Sehen wir das auch so, dass alles, was geschieht, uns zum Besten dient? Uns geschieht ja nicht nur das, was wir uns wünschen, was wir für am besten halten. Es geschehen uns ja auch unangenehme Dinge, gegen die wir uns wehren und sträuben.
Krisen in unserem Leben, Widerstände, die uns viel Kraft kosten, Auseinandersetzungen, die uns zutiefst betreffen, Prägungen, die uns einengen - all das würden wir lieber vermeiden. Und all das soll uns zum Besten dienen?
Paulus mutet uns diese Sichtweise zu. Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen...
Von Anthony de Mello habe ich folgende Sätze gefunden:
„Gott webt vollkommene Muster mit den Fäden unseres Lebens, sogar mit unseren Sünden. Der Grund, warum wir dies nicht erkennen, liegt darin, dass wir die Rückseite des Teppichs betrachten.“
Wenn man einen Teppich von unten betrachtet, dann sieht man da eventuell ein Geflecht aus Knoten und abgeschnittenen Fäden. Dreht man den Teppich um, erkennt man ein wohlgeordnetes Muster.
Anthony de Mello gibt noch ein zweites Beispiel: „Was manche Leute für einen glänzenden Stein halten, erkennt der Juwelier als einen Diamanten.“
Mit den Augen des Glaubens kann man das Leben mit seinen Höhen und Tiefen noch einmal anders sehen. Bevor Paulus diese Sicht dann unnachahmlich weiter ausführt mit dem Gedanken, dass uns überhaupt nichts von der Liebe Gottes trennen kann, weder Hohes noch Tiefes, verankert er unser Heil, unsere Erlösung, ganz tief im Herzen Gottes. Unser Heil liegt nicht an uns selbst. Unsere Erlösung hängt nicht ab von unseren Leistungen. Sondern einzig und allein von Gottes Liebe.
Dass wir Gott vertrauen, dass wir ihn suchen, dass wir zu ihm beten, dass wir ihn verehren in unseren Gottesdiensten, das ist letztlich nicht unser Tun und Machen, auch wenn es so erscheinen mag.
Paulus sieht in alledem Gott selbst am Werk: Die er aber berufen hat, die hat er auch gerecht gemacht; die er aber gerecht gemacht hat, die hat er auch verherrlicht.
Wo Menschen zum Glauben kommen, wo sie Gott vertrauen, wo sie sich als seine Kinder verstehen, da steckt Gott selbst dahinter. Gott hat schon an uns gedacht, als wir noch gar nicht auf der Welt waren. Gott hat uns als seine Kinder erwählt. Und weil Gott uns schon vor aller Zeit erwählt hat, darum wird er nicht von uns lassen, was auch kommen mag und geschieht. So wie er Christus von den Toten auferweckt hat, so wird er auch unser Leben zu einem guten Ende bringen oder besser, er wird unser Leben zu einem neuen Anfang führen. Er tut es - durch seinen Geist. Welch eine Inspiration!
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen