Der Predigttext für diesen Sonntag Rogate handelt vom Beten. Christen sollen aus dem Gebet heraus leben. Bevor man handelt, soll man für alle Menschen beten, für sie bitten, für sie danken, je nachdem.
Ich lese 1. Timotheus 2, 1-6:
1 So ermahne ich nun, dass man vor allen Dingen tue Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen, 2 für die Könige und für alle Obrigkeit, damit wir ein ruhiges und stilles Leben führen können in aller Frömmigkeit und Ehrbarkeit. 3 Dies ist gut und wohlgefällig vor Gott, unserm Heiland, 4 welcher will, dass alle Menschen gerettet werden und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. 5 Denn es ist ein Gott und ein Mittler zwischen Gott und den Menschen, nämlich der Mensch Christus Jesus, 6 der sich selbst gegeben hat als Lösegeld für alle.
Liebe Gemeinde!
Beim ersten Hören musste ich an die Krönung von Prinz Charles zum König in der Westminster Abbey in London vor 8 Tagen denken. Ein feierlicher Gottesdienst, in dem für den König gebetet und gesungen wurde; God save the king – Gott schütze den König. Die Zeremonien nach einem überkommenen Ritual waren aufgeladen mit Symbolik und hatten etwas Feierliches. Es wurde aber auch deutlich, dass die Institution des Königtums besonders von der jungen Generation – aber auch darüber hinaus – stark in Frage gestellt wird.
Im Predigttext werden wir aufgerufen, für alle Menschen zu beten. Viermal kommt dieses „alle“ vor. Wir sollen für die Könige und für alle Obrigkeit beten.
Da können schon Fragen auftauchen: Heißt das, dass wir auch für die Politiker beten sollen, deren Partei wir nicht gewählt haben?
Oder noch radikaler: Heißt das, dass wir auch für Diktatoren beten sollen? Für Putin, Lukaschenko, Assad oder Xi Jinping?
Können wir es verantworten für Menschen zu beten, die möglicherweise das Leben von zahlreichen Mitmenschen auf dem Gewissen haben, die zu Mitteln wie Folter und Gewalt greifen, um ihre politischen Ziele durchzusetzen?
Obrigkeit. Das waren im 1. Jh. die römischen Kaiser. Unter Kaiser Nero und Kaiser Domitian lebten Christen in Angst vor Verfolgung.
Trotz dieser negativen Erfahrung ruft der Schreiber des
1. Timotheusbriefes zum Gebet für alle Menschen und ausdrücklich auch für die Könige und alle Obrigkeit auf. Das schließt auch die Gewaltherrscher mit ein. Das gibt zu denken! Das kann auch innere Widerstände auslösen. Wieso sollen wir auch für Diktatoren beten?
Doch diese Aufforderung stimmt mit dem Evangelium überein.
Denn Jesus trägt den Seinen auf, nicht nur für die Freunde zu beten, sondern auch für die Feinde.
In den Psalmen gibt es immer wieder Rachephantasien gegen Feinde. Das ist menschlich. Da ist die Bibel sehr ehrlich. Aber die Rache wird in den Psalmen Gott anheimgestellt. Der Beter selbst wendet keine Gewalt an. Aber er kommt besser mit seinen Gefühlen klar, wenn er sie wahrnimmt und vor Gott ausspricht.
Wenn wir für Feinde beten, dann bitten wir Gott nicht um ihr Verderben. Als Christen ist es uns verwehrt, gegen andere Menschen zu beten. Wir beten nicht gegen eine Regierung. Wir beten nicht gegen eine Kirchenleitung. Wir beten nicht gegen andere Religionen, nicht gegen Juden, nicht gegen Muslime, nicht gegen Rechte, nicht gegen Linke. Wir beten nicht gegen sie, sondern für sie. Für alle.
Wir bitten darum, dass sie erleuchtet werden, dass sie umkehren von einem falschen Weg. Dass sie zu Gott zurückfinden, der ein Gott des Friedens und des Heils ist.
Das Gebet für die Machthaber gehört zu einem christlichen Leben genauso dazu wie das Gebet für Freunde, Kranke, Leidende und Unterdrückte.
Ist das „Gebet für alle Menschen“ aber nicht eine Überforderung?
Denen, die ich nicht mag, wünsche ich eher etwas Schlechtes als etwas Gutes. Das steckt so in uns drin.
Das Gebet für alle Machthaber, auch für die, die ihre Macht missbrauchen, ist schon eine Zumutung und kann überfordern.
Und doch steckt auch etwas Heilsames darin.
Ich tue mir selbst nichts Gutes, wenn ich in Rachegedanken, in Hass und Unfrieden verharre.
Durch das Beten für alle Menschen befehle ich diese Menschen der Macht Gottes.
Beten hilft mir, mich von schlechten, zerstörerischen Gedanken zu befreien und ruhig zu werden. Ich bete für das Gute des anderen, für sein Heil.
Das verändert auch mich. Es prägt mich. Es hilft mir zu einem gottgefälligen Leben. Ich lasse mich nicht von Zorn und von Hass leiten, sondern überlege, was ich dem anderen Gutes wünschen kann. Denn Gott will das Heil für alle Menschen.
Er will, dass alle Menschen gerettet werden und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen.
Beten ist immer ein Bitten um Heilung und Heil, nicht um Verderben und Vernichtung. Weil Gott will, dass allen geholfen werde.
Wenn wir beten, bestreiten wir den Anspruch der Mächtigen auf die Welt.
Wenn wir beten, resignieren wir nicht vor dem Bösen in der Welt.
Wenn wir beten, vertrauen wir uns und unsere Lieben Gott an und rechnen mit Möglichkeiten, die über die eigene Kraft hinausgehen.
Wenn wir beten, gewinnen Versöhnung und Frieden in dieser Welt Raum.
Wenn wir beten, halten wir daran fest: Eine andere Welt ist möglich.
Wenn wir beten, stimmen wir Gott zu.
Wir geben Gott recht.
Wir halten mit Gott zusammen.
Wir beharren darauf, dass Rettung in unserer Welt und für unsere Welt nötig ist.
Mit jedem Gebet trauen wir Gott zu, dass sich Frieden und Gerechtigkeit ausbreiten, dass Versöhnung geschieht und dass die seufzende Schöpfung erlöst werden wird.
Mit jedem Gebet stimmen wir ein in Gottes Willen.
Mit jedem Gebet gewinnt Gott Raum in dieser Welt, in uns und durch uns. So verändert unser Beten die Welt.
Das Gebet ist dabei nicht das einzige Mittel, mit dem Christen sich einsetzen gegen Unrecht und Gewalt. Für die Einhaltung der Menschenrechte, für die Bewahrung der Schöpfung, für Freiheit und Gerechtigkeit braucht es auch weitere Mittel. Das kann Widerstand bedeuten oder bewusster Verzicht. Dass auch militärische Gewalt bedeuten, wenn es gilt einen Aggressor zu stoppen.
Unser Predigttext ruft nicht nur zum Gebet auf, sondern auch zu einem Verhalten und Handeln nach Gottes Willen.
Gottes Wille zielt auf Rettung und Heilung für alle.
Allen soll geholfen werden.
Dafür steht Jesus Christus. Er hat Gottes Heil vermittelt.
Für alle hat er sich als Lösegeld gegeben.
Wir leben von der österlichen Hoffnung, dass die Güte Gottes letztendlich alles Böse und Teuflische überwinden wird.
Letztlich wird auch in Seelen, die anderen den Tod gebracht haben, das Leben siegen.
Das Gebet für alle Menschen hält diese Hoffnung fest.
Und der Friede Gottes, der all unser Verstehen übersteigt, wird unsere Herzen und Gedanken bewahren in der Gemeinschaft mit Jesus Christus.