Letzte Worte Jesu - Gedanken zum Karfreitag

Der Karfreitag konfrontiert uns mit dem Schlimmsten, was Menschen einander antun können: Folter, Spott und Todesqualen. Im Leid, im Schmerz, vergeht einem das Reden. Sprachlosigkeit und Schweigen sind Kennzeichen schweren Leidens. Wer unter heftigen Schmerzen leidet, der schreit es heraus – oder er verstummt und zieht sich zurück. Der Sterbende auf dem Krankenbett redet nicht mehr viel, ihm fehlt die Kraft dazu. Er oder sie geht still davon. Über dem Tod liegt Schweigen, alle Sprache verstummt.

Umso bedeutungsvoller und wichtiger ist all das, was der bzw. die Sterbende in der Nähe seines Todes dennoch sagt.

Im Lukasevangelium spricht Jesus drei Sätze am Kreuz.

Jedes Mal redet er so, wie es niemand in dieser Situation erwarten würde. Seine Worte sind ungewöhnlich, auffallend, verstörend. Kreuzigung und Worte am Kreuz spielen ineinander.

Letzte Worte sind wichtig, bringen Wesentliches zum Ausdruck, prägen sich ein und können den Hinterbliebenen eine Stütze sein. Bei allen drei Äußerungen Jesu geht es nicht um seine eigenen Qualen. Jesus schreit nicht. Vielmehr betet er voll Vertrauen und zu Gott und er tritt bis zuletzt ein für die Verlorenen. Er bleibt sich und seiner Botschaft treu.

1) Der erste Satz Jesu am Kreuz ist eine Fürbitte. Jesus betet für seine Feinde: „Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“ Man könnte fast sagen, dass der Umgang seiner Feinde mit ihm der Testfall ist für das, was er in der Bergpredigt sagte: Liebt eure Feinde. Tut wohl denen, die euch hassen. Segnet, die euch verfluchen; bittet für die, die euch beleidigen. Reden und Verhalten stimmen bei Jesus überein. Gegenüber denen, die ihn verspotten, schweigt Jesus. Er verteidigt sich nicht, er belehrt nicht, er erhebt keine Vorwürfe, er reagiert nicht mit Rachegefühlen, er droht nicht mit Vergeltung, er klagt niemand an. Kein Hass. Stattdessen die sanfte und unaufdringliche Bitte um Vergebung. „Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“ Dieses Gebet überrascht uns bis heute. Da steht einer über dem Leid, das ihm angetan wird. Da hält einer an der Liebe Gottes fest und wird nicht zum Menschenhasser. Da lässt sich einer nicht von der Realität des Bösen niederringen. Mit seinem Gebet gibt er der Liebe Gottes Raum und rechnet damit, dass Gottes Liebe stärker ist als das Böse. „Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“ Jesus befiehlt seine Feinde der Barmherzigkeit Gottes. Damit hält er ihr Handeln nicht für gut. Er sieht es als verkehrt an, als Schuld, die sie auf sich laden. Aber er wünscht ihnen nicht den Untergang, sondern dass sie sich von den Mächten des Bösen und des Todes abwenden.

Die Feinde Jesu haben es nicht getan. Nicht vor seinem Tod, wohl auch nicht danach. Wir unterstellen Putin und Lukaschenko, dass sie wissen was sie tun. Wissen sie es wirklich? Warum lassen sie das Leid, das ihre Gewaltherrschaft hervorruft, nicht an sich heran?

Wie ist es bei uns selbst? Wie verhalten wir uns gegenüber denen, mit denen wir uns schwer tun? Gelingt es uns, für sie zu beten? „Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“

2) Das zweite letzte Wort, das Jesus sagt, gilt dem einen der beiden Verbrecher, die mit ihm zusammen gekreuzigt wurden. Der reumütige Verbrecher bittet Jesus: Gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst. Darauf antwortet ihm Jesus: „Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradiese sein.“ Auch das hätten wir sicher nicht erwartet. Bevor Jesus qualvoll stirbt, gilt seine ganze Aufmerksamkeit noch den Menschen in seiner Umgebung. Lukas zeigt uns Jesus, wie er bis zuletzt der Retter für die Verlorenen ist. Darin liegt für uns die Hoffnung, dass es bei Gott keine aussichtlosen Fälle gibt.

Luther schreibt zu dieser Stelle: „Drum wollen wir den Schächer feiern: Dieser Schächer ist der erste Heilige im Neuen Testament geworden durch die Passion Christi. Es gibt kein tröstlicheres Exempel (Beispiel) gegen alle Verzweiflung.“

Schächer ist ein altes Wort für Räuber bzw. Verbrecher. Die Bitte des Schächers kann auch unser Gebet werden und uns helfen, uns in das Sterben einzuüben: Jesus, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst. Auch wenn das Sterben qualvoll ist, wenn viel Schuld zusammenkommt, wenn die eigenen Worte fehlen – dieses Gebet genügt, um getröstet sterben zu können: Jesus, gedenke an mich.

An dieses Gebet knüpft Paul Gerhardt an am Ende seines beliebten Sommerliedes „Geh aus, mein Herz, und suche Freud“: „Erwähle mich zum Paradeis und lass mich bis zur letzten Reis an Leib und Seele grünen…“ „Erwähle mich zum Paradies.“ Singen und beten wir solche Sätze bewusst. Dann ist es wahrscheinlicher, dass wir auch so beten in unserer letzten Stunde. Nötig ist es nicht. Aber es wäre ein trostvolles Gebet. Denn wir kennen darauf die Antwort Jesu: „Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradiese sein.“

Paradies ist das persische Wort für Garten. Ins Paradies kommen – das erinnert an den Anfang Gottes mit den Menschen im Garten Eden, im Paradies. Auf uns wartet eine einzigartige, ewige Gemeinschaft mit Gott, die nicht mehr durch Schuld und Tod getrübt wird. In diesem zweiten Satz Jesu am Kreuz leuchtet etwas Österliches herein. Karfreitag heißt darum im Englischen Good Friday, guter Freitag.

3) Der Evangelist Lukas überliefert uns noch einen dritten Satz, den Jesus am Kreuz spricht. Es ist wiederum ein Gebet. Die Worte sind geliehen aus dem Psalm 31: „Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände.“ 

Lukas sieht das ganze Leben Jesu vom Heiligen Geist bestimmt.

Der Heilige Geist kommt über Maria und sie wird schwanger.

Bei der Taufe wird Jesus erfüllt vom Heiligen Geist. In der Kraft des Heiligen Geistes predigt Jesus und vollbringt Wunder. Nun, am Ende seines Lebens, gibt Jesus diesen, seinen Heiligen Geist, an Gott zurück.

So ermöglicht der Tod Jesu, dass sein Geist an Pfingsten allen Menschen zuteilwerden kann, die ein Leben mit Gott führen wollen.

Jesus ergibt sich nicht passiv in sein Todesschicksal: Er ruft noch einmal laut. Er ruft Gott an, den er vertrauensvoll seinen Vater nennt.

Gott, der Vater, ist größer und mächtiger als der Tod.

Darum gibt sich Jesus in die Hände seines Vaters.

Anders als in der Darstellung im Markusevangelium, wo Jesus im Gefühl völliger Gottverlassenheit stirbt und die Theodiezee-Frage (Warum hast du mich verlassen?) in sein Leiden integriert, stirbt Jesus in der Darstellung des Lukasevangeliums voller Vertrauen zu Gott in Gott hinein.

Die verschiedenen Darstellungen des Todes Jesu zeige, wie man von Anfang an um ein tieferes Verstehen des Todes Jesu gerungen und dabei auf verschiedene Fragestellungen differenziert geantwortet hat. Es ist eine Stärke der Bibel, dass sie keine abgeschlossene, eindeutige Theorie über den Tod Jesu liefert, sondern uns immer wieder neu hinschauen, fragen und nachdenken lässt. In unterschiedlichen Lebenssituationen können wir daher Zugänge zu Jesus und seinem Tod finden, die uns trösten und weiterhelfen auf unserem Lebensweg.

Es sind allemal berührende Worte Jesu am Kreuz, die das Lukasevangelium überliefert. Worte, die einen hoffnungsvollen Weg auch für uns zeigen:

„Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“

„Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradiese sein.“

Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände.“

Amen.

Wir beten:

Christe, du Lamm Gottes, der du trägst die Sünd’ der Welt,
erbarm dich unser.

Christus, wir stellen uns unter dein Kreuz und lassen uns von dir berühren. Liebender, wir bitten dich: Erbarme dich aller, die Folter erleiden, die traumatisiert sind, die vor sich selbst und vor ihren Erinnerungen auf der Flucht sind. Wir rufen:

Christe, du Lamm Gottes, der du trägst die Sünd’ der Welt,
erbarm dich unser.

Christus, wir beten unter deinem Kreuz. Erbarme dich aller, die in den Himmel schreien, hauchen, flüstern, röcheln: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Wir rufen:

Christe, du Lamm Gottes, der du trägst die Sünd’ der Welt,
erbarm dich unser.

Christus, wir beten unter deinem Kreuz. Erbarme dich aller, die schuldig werden, die nicht wissen, was sie tun,
die töten und quälen, die ihr Gewissen und ihre Würde verloren haben. Wir rufen:

Christe, du Lamm Gottes, der du trägst die Sünd’ der Welt,
erbarm dich unser.

Christus, wir beten unter deinem Kreuz: Erbarme dich über alle, die sterben, die wegen Corona oder anderen Umständen allein sind auf ihrem letzten Weg. Gedenke an sie. Wir rufen:

Christe, du Lamm Gottes, der du trägst die Sünd’ der Welt,
erbarm dich unser.

Christus, wir beten unter deinem Kreuz. Erbarme dich über alle,
die dich nicht kennen, die nichts von deiner Hingabe wissen,
die nicht nach dir fragen und dich nicht suchen. Wir rufen:
Christe, du Lamm Gottes, der du trägst die Sünd’ der Welt,
erbarm dich unser.

Christus, wir beten unter deinem Kreuz: Erbarme dich über alle,
die dir nachfolgen, die ihr Kreuz auf sich nehmen und dir ähnlich werden in selbstloser Liebe, in Glauben und Hoffnung über den Tod hinaus. Wir rufen:

Christe, du Lamm Gottes, der du trägst die Sünd’ der Welt,
gib uns deinen Frieden.

Stille

Vaterunser