„Der Sabbat – Leben nach Gottes Rhythmus.“ So lautet das Thema der Allianzgebetswoche, die heute beginnt. Im Jahr des Jubiläums 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland ist das ein passendes Thema. Auch wenn ebenfalls vor 1700 Jahren Kaiser Konstantin den Sonntag zum gesetzlichen Feiertag gemacht hat, verbindet uns der Rhythmus der Sieben-Tage-Woche mit dem Judentum.
Sowohl in Rehweiler als auch in Aschbach bestanden jüdische Gemeinden, die am Sabbat ihren Gottesdienst in der Synagoge feierten.
In Aschbach gibt es den jüdischen Friedhof noch, in Rehweiler nicht. Bei älteren Menschen in Rehweiler lebt noch die Erinnerung daran, dass der Feldweg zum Bolzplatz einst der Sabbatweg war. Diese Strecke durften die Juden am Sabbat spazieren gehen. Wir haben oft ein verzerrtes Bild vom Sabbat und den Sabbatvorschriften im Kopf. Aber auch bei uns gibt es die Frage, was am Sonntag erlaubt ist und was nicht. Kirchen, Gewerkschaften und Sportverbände treten für den Schutz des Sonntags ein, damit dieser Tag nicht zu einem Werk- und Arbeitstag wie alle anderen verkommt. Der Sabbat hat mit seinen festen Bräuchen in jüdischen Familien eine tiefe Verankerung.
Ich möchte in dieser Predigt zwei jüdische Stimmen zum Sabbat zu Wort kommen lassen, um uns ein Gefühl für den Sabbat zu geben.
Hermann Wouk beschreibt Anfang der 1960er Jahre, wie er für den Sabbat die stressigen Proben auf dem Broadway in New York verließ und sich dabei wie ein Verräter gegenüber den anderen vorkam. Aber es tat ihm gut, alles hinter sich zu lassen und daheim in eine ganz andere Atmosphäre einzutauchen:
„Der Wechsel ist verwirrend, fast so, als käme man von der Front auf kurzen Heimaturlaub. Meine Frau und meine beiden Söhne, die ich fast vergessen hatte, empfangen mich, alle schon festlich gekleidet und froh gestimmt, und das Herz geht mir auf bei ihrem Anblick. Wir setzen uns zu einem festlichen Mahl an den mit Blumen und alten Sabbatsymbolen geschmückten Tisch: die brennenden Kerzen, die geflochtenen Weißbrote, der gefüllte Fisch, meines Großvaters Silberpokal, in dem der Wein funkelt. Ich spreche über meine Söhne den uralten Segen, und wir singen die in heiteren Synkopen gehaltenen Tischlieder zum Sabbat. Die Unterhaltung dreht sich nicht etwa um die einem Ende mit Schrecken entgegenwankende Aufführung. Meine Frau und ich holen während der Woche versäumte Unterhaltung nach, die Jungen richten ihre Fragen an uns, denn dazu ist am Sabbat die beste Gelegenheit. Auf dem Tisch türmen sich Bibel, Lexikon und Atlas.
Wir sprechen vom Judentum und aus dem Munde der Kinder kommen die üblichen verzwickten Fragen nach Gott, die meine Frau und ich unbeholfen genug, aber so gut es eben geht, beantworten. Ich komme mir vor, als ob ich eine Wunderkur mache.
Auf ähnliche Weise verbringen wir auch den Samstag. Die Jungen kennen sich in der Synagoge aus, und es gefällt ihnen dort. Noch besser gefällt ihnen, dass sie nun ihre Eltern ganz für sich haben… Am Sabbat sind wir immer da, und das wissen sie. Sie wissen auch, dass ich dann nicht arbeite und auch meine Frau Zeit hat. Dieser Tag gehört ihnen.
Dieser Tag gehört aber auch mir. Das Telefon klingelt nicht. Ich habe Zeit zum Nachdenken, zum Lesen, Spazierengehen oder zum Nichts tun. Es ist eine Oase der Ruhe. Erst wenn es dunkel wird, kehre ich zurück an den Broadway, und das nervenzerreißende Spiel beginnt von neuem. Gerade dann kommen mir oft meine besten Einfälle für die grässliche literarische Operation, die sich bis zum Premierenabend hinzieht. Ein Regisseur sagte eines Samstags abends zu mir: „Ich beneide Sie nicht um Ihre Religion, aber ich beneide Sie um Ihren Sabbat.“
Es steht uns gut an, unsere oft verzerrte Sicht auf die Sabbatheiligung im Judentum zurechtzurücken und nicht alles über den Kamm einer vermeintlichen christlichen Freiheit zu scheren.
Vielleicht wird uns durch so einen Text auch ein Defizit bei uns bewusst. Hat der Sonntag bei uns noch eine Seele?
Nehmen wir uns Zeit füreinander, für die Familie, für das Lesen in der Heiligen Schrift, für das Glaubensgespräch?
Können wir abschalten, innerlich und äußerlich?
Nehmen wir wahr, dass die Feier des Sabbats den Juden etwas sehr Kostbares ist!
Geschichtlich gesehen stammt der Rhythmus der 7-Tage Woche aus dem Orient und hängt mit den vier Mondphasen zusammen. Für die Juden wurde die Einhaltung des Sabbats in der Fremde, im Babylonischen Exil, wichtig und zu einem prägenden Merkmal ihrer Identität. Dort und damals entstand die Erschöpfungserzählung mit dem Wochenschema der 6 Arbeitstage und des 7. Tages der Ruhe – literarische betrachtet ein Hymnus, ein Lied mit 7 Strophen.
Mit diesem Schöpfungslied korrespondiert das Gebot der Sabbatheiligung, das wir als Lesung gehört haben. Es fällt auf, dass gerade dieses Gebot ausführlich begründet wird durch einen Rückbezug auf die Schöpfungserzählung: „Denn in sechs Tagen hat der HERR Himmel und Erde gemacht und das Meer und alles, was darinnen ist, und ruhte am siebenten Tage. Darum segnete der HERR den Sabbattag und heiligte ihn.“ Das Judentum hat wohl entscheidend durch drei Dinge alle Krisen seiner Geschichte überstanden: 1. Durch die Tora, die unabhängig vom Tempel überall gelesen werden kann; 2. durch die Feier des Sabbats und 3. durch Gottes Beistand.
Mich fasziniert es, wie tief die Feier des Sabbats in jüdischem Familien verankert ist. Dabei haben sowohl die Mutter als auch der Vater eine eigenständige Rolle und Verantwortung. Eine vergleichsweise so tief fundierte Feier des Sonntags gibt es kaum in christlichen Familien. Die drei Sabbatmahlzeiten sind vorbereitet, alle Familienmitglieder sind festlich gekleidet. Noch vor Sonnenuntergang entzündet die Hausfrau die beiden Sabbatkerzen und spricht den Segen über die beiden Lichter, die die beiden Tafeln der 10 Gebote symbolisieren.
Es gibt eigens einen Sabbatgruß: „Schabbat schalom!“ Der Sabbat wird wie eine Braut bzw. wie eine Königin begrüßt. Da klingen die Rotweingläser beim Anstoßen: „Schabbat schalom!“ – Prost! Das ist mit Freude verbunden, mit Aufatmen, mit Schmackes.
Der Sabbat schließt die Erinnerung an die Befreiung aus der Gefangenschaft in Ägypten mit ein. Gott wird vielfältig gepriesen für seine großen Taten. Die beiden geflochtenen Weizenbrote erinnern an die doppelte Portion Manna in der Wüste am 6. Tag.
Der Mann lobt seine Frau, mindestens jeden 7. Tag!
Spirituell nimmt der Sabbat mit hinein in den Schöpfungsfrieden, in die Ruhe Gottes am siebten Tag. Für Juden ist er eine Vorwegnahme des erwarteten Heils. Der Sabbat ist auch eine soziale Errungenschaft:
Am Sabbat werden alle Menschen gleich. Niemand braucht arbeiten, auch nicht der Sklave und auch nicht der Fremde. Selbst die Tiere brauchen nicht zur Arbeit aufs Feld.
Stellen Sie sich vor: Autofreier Sonntag!
Es tut gut, einmal bewusst auf die Fahrt mit dem Auto zu verzichten. Stattdessen sich lieber zu Fuß oder mit dem Fahrrad zu bewegen.
Keine Hektik, kein Lärm, keine Umweltverschmutzung, kein Eingriff in die Natur, sondern einfach nur da sein, sich selbst spüren, wahrnehmen, was um mich herum ist und wovon ich lebe. Und dafür Gott danken und preisen.
Im Sabbat steckt so viel drin. Er ist angereichert mit Geschichte, mit Glauben, mit familiären Banden, Menschlichkeit, Muse und Kreativität und vielem mehr. Er ist ein Segen für die, die ihn heiligen.
All das können wir ohne Mühe auf den Sonntag übertragen und dabei von unseren jüdischen Glaubensgeschwistern lernen.
Wir werden manches in dieser Allianzgebetswoche noch vertiefen. Heute liegt mir vor allem daran, die Tiefgründigkeit, die Besonderheit und die Schönheit des Sabbats bewusst zu machen.
Wie ich begonnen habe, so schließe ich nun auch mit einer jüdischen Stimme. Und zwar mit Erich Fromm
Er entstammte einer jüdischen Familie in Frankfurt. Verwandte von ihm sind auf dem jüdischen Friedhof von Rödelsee bestattet. Fromm lebte von 1900 bis 1980 und wollte ursprünglich Rabbiner werden. Bekannt wurde er als Psychoanalytiker insbesondere durch seine Bücher: „Die Kunst des Lebens“ und „Haben oder Sein“.
Fromm schrieb einmal über den Sabbat:
„Das Sabbatritual nimmt deshalb in der biblischen Religion eine so zentrale Stellung ein, weil es mehr ist als nur ein „Tag der Ruhe“ im modernen Sinn; es ist ein Symbol der Erlösung und der Freiheit. Das ist auch die Bedeutung der „Ruhe“ Gottes. Gott braucht diese Ruhe nicht, weil er müde ist, sie drückt den Gedanken aus, dass, so groß auch die Schöpfung ist, der Friede noch größer als die Schöpfung und ihre Krönung ist. Gottes Arbeit ist eine Gunst gegenüber dem Menschen; er muss „ruhen“, nicht weil er müde ist, sondern weil er frei und nur dann ganz Gott ist, wenn er aufhört zu arbeiten. So ist auch der Mensch nur dann ganz Mensch, wenn er nicht arbeitet, wenn er mit der Natur und seinen Mitmenschen in Frieden lebt; deshalb wird auch das Sabbatgebot einmal mit Gottes Ruhe und ein andermal mit der Befreiung aus Ägypten begründet. Beides bedeutet dasselbe und erklärt sich gegenseitig: Ruhe ist Freiheit.“
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.