Beim Lesen der Festschrift staunte ich – wie die Landtagsabgeordnete Barbara Becker in ihrem Grußwort: Die Schützengesellschaft Füttersee hat derzeit gut 180 Mitglieder, mehr als das Dorf Einwohner zählt. Das ist beachtlich.
Ich durfte schon manche Festlichkeiten der Schützengesellschaft hier miterleben und bekam schnell mit, dass es zwischen meinem Heimatdorf Castell und den Casteller Schützen eine enge Verbindung, ja Patenschaft gibt. Das ist vor 40 Jahren völlig an mir vorbeigegangen. Ich hatte 1982 andere Gedanken im Kopf.
1982 habe ich Abitur gemacht und dann meine Heimat zum Studium verlassen.
Als ich das Foto mit den Gründungsmitgliedern der Schützengesellschaft Füttersee ansah, kamen mir zwei Gesichter von damals recht vertraut vor: Eberhard und Waltraud Sickmüller aus Castell. Ich habe sie seit damals nicht mehr gesehen. Ich kenne sie nicht anders als auf diesem Foto. Das hat mich berührt.
Bei vielen anderen Gründungsmitgliedern ging es mir anders herum: die waren mir 1982 überhaupt nicht bekannt. Ich kenne sie aber seit gut fünf Jahren und fand es interessant, wie sie damals 1982 aussahen.
Die Anfänge der SG Füttersee waren im ehemaligen Tanzsaal von Georg und Liesl Beck. Dort wurde 1982 ein Schießstand eingebaut. Die Begeisterung des Anfangs zeigt sich auch daran, dass gut zwei Wochen nach der Abnahme des Schießstandes der erste Schützenball gefeiert wurde – das war am 5. Juni 1982 bei 29 Grad und mitten in der Heuernte. Bei 35 Grad wurde vor einer Woche das Zelt aufgebaut… Schützenvereine haben oft eine lange Tradition. Sie wurden einst gegründet, um die Heimat zu beschützen und um Bürgerwehren zu trainieren. Der Name „Schütze“ kommt also nicht von „schießen“, sondern von schützen. Ich finde diesen sprachlichen Unterschied wichtig: Wir haben keinen „Schießverein“, keine „Schießgesellschaft“, sondern eine „Schützengesellschaft“.
Die Schützengesellschaft Füttersee ist ein recht junger Verein, der von Anfang an den sportlichen Wettkampf und die Geselligkeit im Blick hatte.
Vielleicht war die Geselligkeit auch der Grund, warum als Name nicht Schützenverein, sondern Schützengesellschaft gewählt wurde.
Das Wort „Schützen“ kann man in übertragener Weise verstehen. Die Schützengesellschaft beschützt die Heimat in der Weise, dass sie ein wesentlicher Kulturträger dieser Gegend ist. Die Festschrift zeigt die vielfältigen Aktivitäten auf: Jeden Freitagabend ist die Wirtschaft im Schützenhaus geöffnet, Maitanz, Grillfest, Ferienpass, Kirchweih, Weihnachtsfeier – all das bereichert das kulturelle Leben im Dorf.
2019 wurde die Standarte der Schützengesellschaft Füttersee geweiht. Wie ein Dreiklang sind darauf die Kaisereiche, die St. Laurentiuskirche und das Schützenhaus zu sehen, die herausragenden Identifikationspunkte des Dorfes. Seit mehr als 30 Jahren gibt es Ende Juni den Gottesdienst an der Kaisereiche verbunden mit dem Grillfest der Schützengesellschaft. Da spielen Verein und Kirchengemeinde zusammen. Es sind auch meist dieselben Personen, die hier wie dort mit anpacken und etwas für das Dorf auf die Beine stellen. Ich nehme das eher von außen wahr, bin aber immer wieder überrascht, wie gut es hier läuft. Aus kirchlicher Perspektive wohnte in Füttersee nie ein Pfarrer. Das hat der Selbständigkeit der Gemeindeglieder nicht geschadet, im Gegenteil, das hat sie beflügelt. Im letzten Sommer war ich im Urlaub. Über Handy erhielt ich ein paar Fotos und stellte erfreut fest: das Loch in der Friedhofsmauer ist perfekt in Eigenleistung zugemauert. Ich musste mich um nichts kümmern. Genauso war es am Pfingstmontag. Und an diesem Festwochenende gibt es noch mehr zu stemmen. Aber mit vereinten Kräften und den vielen gesammelten Erfahrungen ist das möglich. Die Schützen tragen also wahrlich zum Schutz der Heimat bei, zur Förderung der Geselligkeit und des Zusammenhalts.
Ich möchte nun speziell auf das Wesen des Schützensports eingehen.
Von außen betrachtet ist diese Sportart vor allem etwas fürs Auge und für eine ruhige Hand. Eine Minimalsportart, mit der man kaum eine Schlankheitskur verbinden kann.
Eine Sportart, die viel mit Meditation zu tun hat. Denn wer sich an den Schießstand stellt, der muss ganz bei der Sache sein. Jeder ablenkende Gedanke kann auch den Schuss ablenken. Schießen zwingt dazu, ganz präsent zu sein.
Schießen kann also eine gute Übung dafür sein, im Augenblick zu leben. „Nimm dir Zeit, werde still“, so hat es der Kirchenchor vorhin gesungen. Schießen kann helfen, den Alltag loszulassen und ganz in das Hier und Jetzt einzutauchen, durch die Konzentration auf die Mitte des Scheibenspiegels. Man will ja ins Schwarze, in den innersten Ring treffen.
Lesung aus dem Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Rom, Kapitel 11 nach der Übersetzung „Hoffnung für alle“:
Damit ihr nicht auf die Juden herabseht, liebe Brüder und Schwestern, möchte ich euch ein Geheimnis anvertrauen: Ein Teil des jüdischen Volkes ist verhärtet und verschlossen für die rettende Botschaft. Aber das wird nur solange dauern, bis die volle Zahl von Menschen aus den anderen Völkern den Weg zu Christus gefunden hat. Danach wird ganz Israel gerettet... Denn Gott hält seine Zusagen, und weil er ihre Vorfahren erwählt hat, bleiben sie sein geliebtes Volk. Denn Gott fordert weder seine Gaben zurück, noch widerruft er die Zusage, dass er jemanden auserwählt hat... Denn Gott hat alle Menschen ihrem Unglauben überlassen, weil er allen seine Barmherzigkeit schenken will. Wie groß ist doch Gott! Wie unendlich sein Reichtum, seine Weisheit, wie tief seine Gedanken... Denn alles kommt von ihm, alles lebt durch ihn, alles vollendet sich in ihm. Ihm sei Lob und Ehre für immer und ewig. Amen.
Wie ein Schütze richtet der Apostel Paulus seine Konzentration im Römerbrief auf die Barmherzigkeit Gottes. Er stellt Überlegungen darüber an, warum die Mehrzahl der Juden den Glauben an Jesus Christus ablehnt. Dabei sieht er die Schuld nicht bei den Juden. Genauso wenig wie die Heiden Schuld daran waren, dass sie erst spät zum Glauben an den barmherzigen Gott gekommen sind. Paulus stellt beides Gott anheim. Heute müsste er noch eine Gruppe mehr in den Blick nehmen: Alle, die mit Gott nichts anfangen können. Für Paulus ist klar: Keiner steht vor Gott besser da als andere. Alle sind auf Gottes Erbarmen angewiesen.
Das klingt banal. Ist es aber nicht. Die aktuelle Debatte um die Judensau an christlichen Gotteshäusern zeigt die Irrungen, die es in den Kirchen über viele Jahrhunderte gab. Ich musste leider auch aus Briefen meines Opas feststellen, dass er vom Antisemitismus der Nazis infiziert war. Im Juni 1943 schrieb er an meine Oma: Allmählich dämmert es in der ganzen Welt, dass der „ewige Jude“ auch der „einzige Brandstifter“ ist. Dies Volk hat die Wahrheit bekämpft und mit Füßen getreten wie kein anderes, drum wird es auch gestraft werden wie kein andres. Damit möchte ich nicht behaupten, dass nur wir dazu berufen sind, diese Strafe zu vollstrecken. Bei diesen Sätzen kam mir das Grausen. Eine Aufarbeitung war ihm nicht möglich, weil er 1944 gefallen ist. Der unselige Antisemitismus hat nicht zuletzt durch Verschwörungstheoretiker neue Nahrung erhalten und überschattet nun auch die die Documenta in Kassel.
Umso wichtiger ist es, dass wir verstehen, wie der Apostel Paulus hier von den Juden spricht. Er mahnt auch uns, dass wir nicht auf die Juden herabsehen. Sie sind und bleiben Gottes erwähltes Volk. Er wird sich über sie erbarmen wie über alle Menschen. Das hat die Kirche inzwischen gelernt und hätte es von Paulus längst wissen können.
Zwei jüdischee Witze karikieren den dumpfen Antisemitismus, der - Gott sei's geklagt - auch in Deutschland weiter sein Unwesen treibt:
Sagt ein Antisemit: „Alles Unglück kommt von den Juden.“ Darauf der Jude: „Nein, von den Zweiradfahrern.“ Antisemit: „Wieso von den Zweiradfahrern?“ Jude: „Wieso von den Juden?“
Die kleine Ilse: „Ich darf nicht mehr mit dir spielen, Moritz, die Mama sagt, ihr Juden habt Jesus gekreuzigt.“ Moritz: „Das haben wir ganz bestimmt nicht getan. Das müssen die Kohns von nebenan gewesen sein.“
Paulus konzentriert sich und uns auf die Barmherzigkeit Gottes.
Gott selbst zielt auf uns, nicht mit einer Waffe, sondern mit den Augen seiner Liebe und Güte. Er will sich aller erbarmen. Schon im der hebräischen Bibel wird immer wieder von Gott gesagt, dass er barmherzig und gnädig ist. Jesus hat das in seinen Gleichnissen vertieft und er hat die Barmherzigkeit vorgelebt, indem er gerade auf die Ausgegrenzten zuging. Entsprechend nennt uns Jesus das entscheidende Ziel, das wir im Auge behalten sollen: „Seid barmherzig, wie euer Vater im Himmel barmherzig ist.“
Liebe Gemeinde, es ist keine christliche Haltung, wenn man sich besser dünkt als die anderen. Nicht beim Sportwettkampf, nicht im Berufsleben, nicht unter Geschwistern, auch nicht national. Jeder hat auch seine Schwächen und bleibt angewiesen auf Verständnis und Respekt. Darum tut es uns gut, wenn wir uns immer wieder an Gottes Güte und Barmherzigkeit ausrichten, wenn wir uns darauf konzentrieren, ja wenn wir uns darauf „einschießen“ und es einüben, selbst barmherzig zu sein: So loben wir die tiefgründige Barmherzigkeit Gottes am meisten. Wie groß ist doch Gott! Wie unendlich sein Reichtum, seine Weisheit, wie tief seine Gedanken...
Denn alles kommt von ihm, alles lebt durch ihn, alles vollendet sich in ihm. Ihm sei Lob und Ehre für immer und ewig. Amen.