Die Zeit des Karnevals geht in diesen Tagen wieder zu Ende. In vielen Städten finden Faschingsumzüge statt, die bekanntesten im Rheinland. Der Fasching war immer ein Ventil gegenüber der mächtigen Obrigkeit. Für eine begrenzte Zeit war es erlaubt, die Machtverhältnisse auf den Kopf zu stellen. Die einfachen Leute schlüpften in Gewänder der Mächtigen und hielten ihnen kritisch einen Spiegel vor. So konnte sich der Frust über Herrscher und Kirchenobere Luft machen. Vielleicht bewirkte dies bei den Mächtigen auch ein Umdenken. In der Regel aber wohl eher nicht. Aber es ist ja schon viel, wenn so ein närrischer Rollentausch im Fasching erlaubt und geduldet wurde.
In vielen Staaten ist es gefährlich, die Obrigkeit zu kritisieren. In Russland wurde der einzige Konkurrent für Putin von der Wahl ausgeschlossen. Unbeliebte Autokraten halten sich mit Gewalt an der Macht, sie dulden keine Kritik. Kritiker werden unterdrückt, eingeschüchtert, verfolgt, eingesperrt oder gar umgebracht. Die Todesurteile in autoritären Staaten sind nicht selten politisch motiviert. Und das in unserer Zeit.
Viele Mitbürger/innen demonstrieren in diesen Wochen auf Deutschlands Straßen, letzte Woche auch zum zweiten Mal in Kitzingen. Die Pläne der Rechtsextremisten, Menschen mit Migrationshintergrund aus Deutschland zu deportieren, haben viele wachgerüttelt. Es ist erschreckend, mit welcher Brutalität in rechtsextremen Kreisen gedacht und vorgegangen wird. Wer so Menschenrechte mit den Füßen tritt, von dem kann keine gute Politik für unser Land erwartet werden. Freiheit, Recht und Demokratie sind in Gefahr.
Damit sind wir mitten im Predigttext für heute. Da geht es um die sogenannte Sozialkritik des Propheten Amos. Amos prangert das verwerfliche Verhalten der Oberschicht in Samaria und im Nordreich Israel an.
Es passt nicht zusammen, schöne Gottesdienste zu feiern und zugleich Religion zu missbrauchen, um Verbrechen und himmelschreiende Ungerechtigkeit zu verschleiern. Diesen Schleier einer fehlgeleiteten Frömmigkeit will Amos wegreißen.
Wir lesen in Amos 5, 21-24:
Ich bin euren Feiertagen gram und verachte sie und mag eure Versammlungen nicht riechen. Und wenn ihr mir auch Brandopfer und Speisopfer opfert, so habe ich kein Gefallen daran und mag auch eure fetten Dankopfer nicht ansehen. Tu weg von mir das Geplärr deiner Lieder; denn ich mag dein Harfenspiel nicht hören! Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.
Das ist ein hartes Wort. Das kann schnell falsch verstanden werden, wenn man es aus dem Zusammenhang reißt. Es geht nicht um eine radikale Kultkritik. Amos ist nicht gegen Gottesdienste an sich. Aber wogegen er ist, ist dies: Wenn Gottesdienste und die Religion missbraucht werden, um Unrecht zu verschleiern oder schönzureden, dann ist das Gott ein Gräuel. Gott will das nicht. Er lehnt jede Heuchelei ab. Amos benennt zuvor konkret, was alles schiefläuft:
Die Reichen und Oberen verkaufen Arme um den Preis von ein paar Schuhen in die Sklaverei, sie geben Pfandgegenstände nicht zurück, sie trinken im Tempel Wein, den sie mit Strafgeldern gekauft haben, sie betrügen und bestechen, sie leben in Saus und Braus, Sklavinnen werden sexuell missbraucht. Angesichts all dieser Skrupellosigkeit nimmt sich Amos kein Blatt vor den Mund.
Er klagt die Oberschicht an: „Eure Vergehen stehen auf einer Stufe mit den Verbrechen der Völker, wenn sie Schwangere aufschlitzen und Bevölkerungen in die Sklaverei verschleppen. All diese und andere Verbrechen gegen die Menschlichkeit stinken zum Himmel. Das verträgt sich nicht mit den Speisopfern in den Heiligtümern von Bethel und Gilgal. Statt ausgelassene Feste und Gottesdienste zu feiern mit schöner Musik ohne an die unterdrückten Armen zu denken, soll erst einmal das Recht eingehalten werden. Die Verbrechen gegen die Menschlichkeit müssen aufhören. Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach."
Ja, liebe Gemeinde! Das sind harte Worte, noch dazu in der Faschingszeit. Sie sind und bleiben ein Stachel im Fleisch. Sie schärfen unsere Wahrnehmung für den Missbrauch von Religion, für das Verschleiern von Unrecht durch eine fehlgeleitete Frömmigkeit.
Viele fragen sich, warum konservative Christen in den USA so versessene Waffenbesitzer und vehemente Trump-Anhänger sind, sich aufstacheln lassen und die Republikaner wählen. Trump gibt sich als wiedergeboren Christen aus, fuchtelt mit der Bibel herum, bedient die Evangelikalen nach ihrem Geschmack und bindet sie so an sich. Und dann schauen sie darüber hinweg, dass „ihr Messias“ lügt und beleidigt, dass er Menschen aufhetzt zu Gewalttaten und Frauen diskriminiert. Die Rechten und die Evangelikalen in den USA sind vereint in einem nationalistischen, egoistischen und teilweise rassistischen Denken. Da wird Religion politisch instrumentalisiert und missbraucht.
Wir sehen das auch bei der Re-Islamisierung der Türkei unter Erdogan samt einer Neugründung einer entsprechenden Partei in Deutschland.
Wir sehen es beim Hindu-Nationalismus in Indien mit seinen antimuslimischen und auch antichristlichen Pogromen.
Wir sehen es bei den gewalttätigen jüdischen Siedlern im Westjordanland. Überall dreht es sich um den gleichen Wunsch nach einer religiös unterfütterten völkischen Reinheit bzw. ethnischen Homogenität.
Am 9. Juni ist unser Gemeindefest in Rehweiler geplant. An diesem Tag findet auch die Europawahl statt. Die Parteien stellen Listen von Kandidaten auf. Auf Deutschland entfallen 96 Abgeordnete des Europäischen Parlaments. Parteien und politische Vereinigungen können Wahlvorschläge einreichen. Sie legen geschlossene Wahllisten vor, die nicht verändert werden können. Jede Wählerin, jeder Wähler hat eine Stimme, die er einer Partei geben kann.
Maximilian Krah ist seit 2019 für die AfD Mitglied im Europäischen Parlament. Er tritt als Spitzenkandidat der AfD bei der Europawahl wieder an. Sein Vater war Diözesanrat der Katholiken im Bistum Meißen-Dresden. Trotz einer katholischen Sozialisierung und eines Jurastudiums äußert sich Krah völkisch-nationalistisch, islamfeindlich, fremdenfeindlich und verfassungsfeindlich. Krah vertritt das Weltbild der Neuen Rechten, nämlich einen Ethnopluralismus.
Die Durchmischung verschiedener Völker wird abgelehnt. Jedes Volk soll in seinem Land wohnen. Dazu passt die Debatte um Remigration, sprich die zwangsweise Deportation von Migranten in ihre Herkunftsländer. Dahinter steht der Irrglaube, dass an allen Problemen in Deutschland "die Ausländer" schuld seien. Nun weiß Krah um die Kraft der Religion, Menschen zu vereinen. Er will das Christentum völkisch erneuern und zu einer Art ethnischen Stammesreligion machen. Aber die Kirchen scheiden für ihn als Verbündete aus. Von den Kirchen sei außer Kritik nichts zu erwarten. Vorbild für sein völkisches Christentum ist ihm vor allem die russisch-orthodoxe Kirche. Ihm gefällt es, wie der Moskauer Patriarch Kyrill und Putin zusammenstehen und Putin konkrete geografische Räume für Russland beansprucht und in Besitz nimmt. Dazu ist auch Gewalt und Krieg erlaubt, der dann religiös gerechtfertigt wird. Wie es auch in Deutschland im 1. Weltkreig geschah, hat Kyrill Moskaus Waffen, Panzer und Raketen gesegnet und den Soldaten die Vergebung all ihrer Sünden und Kriegsvergehen versprochen, wenn sie im Krieg ihr Leben opfern. Wie Kyrill und Putin sieht Krah die russisch-orthodoxe Kirche als moralische Alternative zum dekadenten Christentum des Westens. Festgemacht wird diese angeblich bessere Moral gerne an einem traditionellen Frauen- und Familienbild und an der Diskriminierung von Homosexualität und der Ablehnung von allem freiheitlichen Denken und einer offenen Gesellschaft.
Wie hier die Religion instrumentalisiert und missbraucht wird für ein menschenverachtendes politisches Handeln liegt auf der Hand. Man weigert sich, das Unrecht, das Frauen und andersliebenden Menschen durch die Jahrhunderte angetan wurde, anzuerkennen. Der eine Gott und Herr der ganzen Welt, den auch der Prophet Amos preist (4,13), wird nationalistisch verengt, vereinnahmt, begrenzt. Christus, der Gewalt ablehnte, wird zum Kriegsherrn. Die Gottebenbildlichkeit aller Menschen muss einem völkischen Ideal weichen.
Es ist gut, dass ein Aufwachen durch unser Land geht. Dass Menschen auf die Straße gehen, um solchen unchristlichen, ja unmenschlichen Entwicklungen entgegenzutreten. Amos ging damals auch auf die Straße und warnte: Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach. Darauf gilt es mehr denn je zu achten, dafür gilt es einzutreten. Ich bin mir sicher: Wenn dazu unsere Gottesdienste dienen, hat Gott seine Freude daran.