Die erste evangelische Lieddichterin Elisabeth Cruziger

2024 gab es auch das Jubiläum „500 Jahre Evangelisches Gesangbuch“. 1524 kam nicht nur das Acht-Liederheft mit Lutherliedern heraus, sondern auch das Erfurter Enchiridion. Darin waren von 26 Liedern 18 Lieder von Luther. Unter den restlichen 8 Liedern findet sich eines von einer Frau, der ersten evangelischen Liederdichterin Elisabeth Cruciger. Es steht uns gut an, wenn wir Elisabeth Cruciger als eine Mutter des Glaubens und der Reformation in Ehren halten. Vonihr stammt das Epiphaniaslied "Herr Christ, der einig Gotts Sohn", EG 67.

EG 67, 1

In der ersten Strophe geht es um den gesamten Weg Christi, der nicht mit der Geburt, sondern schon vor aller Schöpfung im Herzen Gottes beginnt.
Jesus ist der einzige Sohn Gottes, der eingeborene Sohn, der einig Gotts Sohn. Hier klingt Joh. 1, 18 an: „Niemand hat Gott je gesehen; der Eingeborene, der Gott ist und in des Vaters Schoß ist, der hat ihn uns verkündigt.“ Neben Bibelstellen greift die in einem Frauenkloster erzogene Adelstochter Elisabeth von Meseritz auch auf das nizänische Bekenntnis zurück, das wir heute gesprochen haben. Dort heißt es von Jesus Christus: „Gottes eingeborenen Sohn, aus dem Vater geboren vor aller Zeit, Gott von Gott, Licht von Licht, wahrer Gott vom wahren Gott.“ Außerdem ist Elisabeth von Cruciger auch in der Mystik zuhause und sie verarbeitet Gedanken der Reformation. Eine gebildete Frau. Der Hinweis auf die Schrift „gleichwie geschrieben steht“ ist gut reformatorisch. Christus wird als Morgenstern bezeichnet. Der Morgenstern erscheint kurz bevor der neue Tag anbricht. Christus ist nicht nur von Ewigkeit her, er ist auch die Zukunft der Welt: Der Anbruch einer neuen Schöpfung, eines neuen Tages, des Reiches Gottes. Die erste Strophe umschreibt, dass Christus A und O ist, Anfang und Ziel der Welt.

EG 67, 2

Erst in der zweiten Strophe kommen wir dann in der Mitte der Zeit an, bei Weihnachten: Christus wird für uns ein Mensch. Gott tritt in unser Menschsein ein. Für uns. Dass wir nicht verloren gehen. Nicht verloren gehen vor ihm. Denn Gott und Mensch haben sich verloren.
Das ist das, was die Bibel mit Sünde meint: Gott und Mensch kennen sich nicht mehr. Aber Gott tritt in Christus in unser Leben hinein. Er sucht uns, er will uns begegnen. Uns einladen. Diese Bewegung ist das Zentrale unseres christlichen Glaubens: das Wiederfinden von Gott und Mensch in Christus. Es ist ein ewiges Wiederfinden. Denn Christus hat den Tod zerbrochen, so das Lied, und den Himmel aufgeschlossen. Der Weg ist frei in den Himmel – für dich. Es gibt nichts, was Gott und dich trennt, dafür hat Gott selbst den Tod am Kreuz für dich auf sich genommen. Größere Liebe hätte er dir nicht zeigen können. Er hat dich wiedergefunden. Er hat das Leben wiedergebracht, sagt das Lied.
Du kannst leben im Vertrauen auf einen offenen Himmel, der dich willkommen heißt.

Elisabeth Cruciger war nicht irgendeine Frau. Sie gehörte zum engsten Umkreis um Martin Luther in Wittenberg. Sie ist um 1500 in Hinterpommern geboren. Im Kloster Marienbusch lernte sie lesen und schreiben, lernte Latein und befasste sich mit Bibelstudium und Psalmengesängen. Im Nachbarkloster Belbuk wirkte Johannes Bugenhagen, über den reformatorische Erkenntnisse zu ihr ins Kloster kamen. 1521 zog Bugenhagen nach Wittenberg. Elisabeth folgte ihm ein Jahr später und fand Aufnahme in der Familie Bugenhagen. Dort bekommt sie die biblisch begründete Ablehnung der klösterlichen Gelübde durch Luther und seine Hochschätzung des ehelichen Standes mit. Als sie im Haus von Bugenhagen den aus Leipzig stammenden jungen Theologen Caspar Cruziger begegnete, verliebten sich die beiden. Martin Luther traute das Paar am 14. Juni 1524, im Jahr, in dem Elisabeth das einzige von ihr erhaltene Lied gedichtet hat.

Mit ihrem Mann hatte sie zwei Kinder, den Sohn Caspar, der später als Professor die Nachfolge von Melanchthon antrat. Die Tochter Elisabeth heiratete in zweiter Ehe den ihr aus ihrer Kindheit bekannten Sohn Luthers Johannes, das „Hänschen“. Nach einem Intermezzo in Magdeburg zog die junge Familie wieder nach Wittenberg. Ihr Mann Caspar gab mit Luther die Bibel auf Deutsch heraus. Er hielt Vorlesungen an der Wittenberger Universität. Er war berühmt für seine Stenographie. Durch ihn sind uns viele Vorträge und Gespräche Luthers überliefert. Niemand schrieb damals so schnell wie er, heißt es. Als Pfarrfrau beteiligte sie Elisabeth Cruziger auch an den theologischen Tischgesprächen. Martin Luther sprach sie mit „Liebe Els“ an. Cruciger pflegte engen Kontakt zu Luthers Frau Katharina von Bora.

Das Lied von Elisabeth Cruciger ist das erste Jesuslied der evangelischen Kirche. Wenn wir gleich die Strophe 3 singen, wird das deutlich. Hier wechselt die Dichterin von theologischer Lehre hin zu einer mystischen Sprache. Ab Strophe 3 ist das Lied eine einzige Bitte, dass Christus auch uns berührt und das neue Leben, das Jesus gebracht hat, uns verwandelt.

EG 67, 3

Elisabeth bittet, dass wir in der Liebe und Erkenntnis Jesu Christi zunehmen mögen und zwar so, dass wir seine Süßigkeit im Herzen spüren, ja schmecken, und dass wir nach ihm dürsten. Wie kann man Süßigkeit im Herzen schmecken? Süßigkeit im Herzen, schmecken, dürsten nach Jesus, das ist mystische Sprache. Es ist der Wunsch, ganz mit Jesus verbunden zu sein, eins zu werden mit Jesus, mit ihm zu verschmelzen wie es Liebende erfahren. Im Hohenlied Salomo wird die Süße des Bräutigams erfahren, die wie Honig tropft. Diese Bilderwelt hat Elisabeth bereits im Prämonstratenserinnenkloster Marienbusch an der Rega kennengelernt. Ich finde es wunderbar, dass dieses gute vorreformatorische Erbe uns auf diese Weise erhalten geblieben ist. Ähnlich ist es auch bei Paul Gerhardt, der in seiner Schulzeit in Grimma die Mystik der Zisterzienser kennengelernt und in seinen Liedern verarbeitet hat. Es gab Ökumene also schon von Anfang an, eine Fortführung des katholischen Erbes in der evangelischen Kirche, obwohl die Fronten erst einmal lange verhärtet waren.
In der 4. Strophe spricht Elisabeth Cruciger wieder den Schöpfer an und bittet ihn, das Herz und die Sinne des Menschen ganz zu sich zu wenden. Es ist die Bitte um eine bleibende Verwurzelung im Glauben.

EG 67, 4-5

Man kann bei der Bezeichnung „Du Schöpfer aller Dinge“ an die Schöpfungsmittlerschaft Christi denken, wie es in Joh. 1 vom Logos, vom Wort, heißt: durch dasselbe ist alles geschaffen. Die väterliche Kraft wäre dann auch Christus. Von Christus heißt es im nizänischen Glaubensbekenntnis: "Er sitzt zur Rechten des Vaters und wird wiederkommen in Herrlichkeit, zu richten die Lebenden und die Toten; seiner Herrschaft wird kein Ende sein.“ Cruciger dichtet: „regierst von End zu Ende.“
Die 5. Strophe bittet um das Sterben des alten und das Auferstehen des neuen Menschen: „Ertöt uns durch dein Güte, erweck uns durch dein Gnad.“ Nicht nur etwas in uns soll getötet werden, wir selbst. Wie kann man das verstehen? Wir schwanken ja zwischen unseren eigenen Bildern hin und her. Einmal sagt der Größenwahn in mir: „Du bist ganz toll“. Dann wieder redet mir der Selbstzweifel ein: „Du bist gar nichts!“ Wie gelingt es, ohne Größenwahn und ohne Selbstzweifel zu leben? Ertöt uns durch dein Güte, dichtet Elisabeth Cruciger. Es fällt auf, dass sie hier von Güte, nicht von Zorn schreibt. Töte uns durch Liebe! Deine Güte, deine Liebe, Gott, soll all diese Bilder in mir ein für allemal abtöten. Diese Bilder, die ich von mir selbst inszeniere, dass ich wer ganz Tolles bin, diese Bilder in mir, dass ich eigentlich gar nichts bin. Lass die für immer verblassen, diese Bilder, lass sie sterben in deiner Güte. Und doch kommen diese Bilder immer wieder. Wir sind Sünder und Gerechte zugleich, sagt Luther. Täglich muss der alte Adam ersäuft werden. Elisabeth Cruciger weiß auch darum. Darum diese Bitte, dass Gott in seiner Güte dies tue, damit der neue Mensch leben kann.
Das Lied endet schließlich fast mit heiteren Worten, dass ich „hier auf dieser Erden den Sinn und alls Begehren und G’danken hab zu dir.“
Sie ähneln dem mittelalterlichen volkstümlichen Liebeslied: „All mein Gedanken, die ich hab, die sind bei dir. Du auserwählter einziger Trost, bleib stets bei mir.
Eines Morgens wachte Elisabeth auf und wendet sich an ihren geliebten Caspar: "Du, Caspar, heute Nacht habe ich geträumt, dass ich auf der Kanzel der Wittenberger Stadtkirche gestanden habe und predigte!" (Predigen war Frauen in der Reformation nur in Ausnahmen erlaubt, wenn keine Männer da waren.) Caspar antwortete: „Du, Elisabeth, das bezieht sich ganz bestimmt auf deine Lieder, die werden in unserer Stadtkirche gesungen werden und zu den Menschen predigen.“ Elisabeth Cruciger wurde nur 31 Jahre alt.
Sie starb 1535 in Wittenberg.
Heute predigen ihre Worte zu uns.
Verweilen wir bei ihnen, indem wir dieses erste Jesuslied unserer evangelischen Kirche nochmal ganz singen.

(Caspar Cruziger heiratete 1537 in zweiter Ehe Ehe Apollina († 28. September 1557), die Tochter des Leipziger Ratsherren Kunz Günterode und dessen Frau Anna Alpeck († 1541). Die Hochzeitspredigt hielt Martin Luther. Aus dieser Ehe ist die Tochter Apollonia bekannt, die am 6. Juni 1569 den Poeten Georg Mauritius ehelichte.
Als Student bei Georg Helt wohnte er unter anderem der Leipziger Disputation zwischen Martin Luther und Johannes Eck bei.

Nach dem Ausbruch der Pest in Leipzig 1521 übersiedelte Cruciger nach Wittenberg. Hier setzte er sein Studium der Theologie fort und erweiterte es um das Fach Hebräisch, bis er 1522 nach Leipzig zurückkehrte. Bereits im folgenden Jahr, am 13. April 1523, ließ er sich erneut in Wittenberg immatrikulieren. Dort erweiterten sich seine Interessen auch auf den naturwissenschaftlichen Bereich; so legte er 1524 einen botanischen Garten an. Seine mathematischen und astronomischen Studien mit Erasmus Reinhold brachten ihm Anerkennung und förderten die Durchsetzung des kopernikanischen Weltbildes.

Im Dezember 1524 schlug Philipp Melanchthon vor, ihn mit der „Lectio Quintiliana“ an der philosophischen Fakultät zu betrauen. 1525 wurde er zum Rektor und Prediger der neu gegründeten evangelischen Johannisschule in Magdeburg berufen, die unter seiner Leitung aufblühte. Am 17. November 1528 erhielt Cruciger eine Professur für Theologie und die damit verbundene Predigerstelle in der Schlosskirche Wittenberg.

Er trat zunächst in die philosophische Fakultät ein und übernahm dort auch theologische Vorlesungen, so dass er am 17. Juni 1533 zum Doktor der Theologie promoviert wurde und im selben Jahr zum Professor der Theologie in Wittenberg ernannt wurde. Er setzte seine Arbeiten von nun an vorrangig in Wittenberg an der Seite Luthers fort und half diesem bei der Übersetzung und der Druckvorbereitung der Bibel. Erst mit seiner Beteiligung und der des Friedrich Myconius an der Reformationsbewegung in Leipzig im Sommer 1539 änderte sich dies. Danach findet man ihn bei den Hagenauer Religionsgesprächen, bei dem Wormser Religionsgespräch (1541) und bei den Regensburger Religionsgesprächen, wo er als Sekretär durch Aufzeichnungen und Verhandlungen wichtige Dienste leistete. Besonders schwierig war die Zeit des Schmalkaldischen Krieges, als er mit Philipp Melanchthon und Paul Eber versuchte, die Wittenberger Universität zu erhalten. Von diesen Strapazen gezeichnet, verstarb er am 16. November 1548 nachmittags um 18 Uhr. Sein Leichnam wurde am 18. November 1548 in der Stadtkirche Wittenberg beigesetzt. Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Caspar_Cruciger_der_Ältere)

EG 67

1) Herr Christ, der einig Gotts Sohn,
Vaters in Ewigkeit,
aus seim Herzen entsprossen,
gleichwie geschrieben steht,
er ist der Morgensterne,
sein Glänzen streckt er ferne
vor andern Sternen klar;

2) für uns ein Mensch geboren
im letzten Teil der Zeit,
dass wir nicht wärn verloren
vor Gott in Ewigkeit,
den Tod für uns zerbrochen,
den Himmel aufgeschlossen,
das Leben wiederbracht:

3) Lass uns in deiner Liebe
und Kenntnis nehmen zu,
dass wir am Glauben bleiben,
dir dienen im Geist so,
dass wir hier mögen schmecken
dein Süßigkeit im Herzen
und dürsten stets nach dir.

4) Du Schöpfer aller Dinge,
du väterliche Kraft,
regierst von End zu Ende
kräftig aus eigner Macht.
Das Herz uns zu dir wende
und kehr ab unsre Sinne,
dass sie nicht irrn von dir.

5) Ertöt uns durch dein Güte,
erweck uns durch dein Gnad.
Den alten Menschen kränke,
dass der neu' leben mag
und hier auf dieser Erden
den Sinn und alls Begehren
und G'danken hab zu dir.