Ökumenischer Kirchweihgottesdienst in Gräfenneuses

Kirchweih. Da liegt es nahe, die Kirche selbst zum Thema zu machen. Nicht das Gebäude, sondern die Institution Kirche wollen wir heute miteinander in den Blick nehmen. Dabei geht uns besonders um eine Unterscheidung. Nämlich die Unterscheidung zwischen sichtbarer und unsichtbarer Kirche bzw. zwischen öffentlicher und verborgener Kirche. Die unsichtbare, verborgene Kirche ist die geglaubte Kirche, von der wir im Glaubensbekenntnis sagen: „Ich glaube an den heiligen Geist, die heilige christliche bzw. katholische Kirche.“ Gott selbst baut seine Kirche, wo Menschen auf seine Stimme hören.

Offenb. 5, 11-14

Und ich sah, und ich hörte eine Stimme vieler Engel um den Thron und um die Wesen und um die Ältesten her, und ihre Zahl war zehntausendmal zehntausend und vieltausendmal tausend; die sprachen mit großer Stimme: Das Lamm, das geschlachtet ist, ist würdig, zu nehmen Kraft und Reichtum und Weisheit und Stärke und Ehre und Preis und Lob. Und jedes Geschöpf, das im Himmel ist und auf Erden und unter der Erde und auf dem Meer und alles, was darin ist, hörte ich sagen: Dem, der auf dem Thron sitzt, und dem Lamm sei Lob und Ehre und Preis und Gewalt von Ewigkeit zu Ewigkeit! Und die vier Wesen sprachen: Amen! Und die Ältesten fielen nieder und beteten an.

Liebe Gräfenneusesser, liebe Kirchweihgemeinde!

In der Theologie wird zwischen der sichtbaren und der unsichtbaren Kirche unterschieden. Das geht auf die Bibel zurück. Paulus spricht die Christen in Korinth als Heilige an, aber bei näherem Hinschauen geht es unter den Heiligen gar nicht sehr heilig zu. Paulus hat einiges zu kritisieren. Es gab Spaltungen in der Gemeinde, Personenkult, Paulus selbst wurde respektlos behandelt und in Misskredit gebracht, beim Abendmahl ging es lieblos zu usw. Unheilige Heilige! Auch heute klaffen in der Kirche Anspruch und Wirklichkeit nicht selten auseinander. Es wäre interessant, wenn wir uns in gemischten kleinen Gruppe einmal darüber austauschen, wie wir Kirche erleben. Da gibt es vieles, woran wir uns freuen: aktive Gruppen und Kreise, ermutigende Gottesdienste, diakonisches Engagement, eine gute Ökumene, eine Besuchskultur, Angebote für Kinder und Familien und manches mehr. Zur sichtbaren Kirche gehört aber auch all das, was uns ärgert oder enttäuscht. Das können alltägliche Begebenheiten sein: Ausgrenzung in Gruppen und Kreisen, persönliche Eitelkeiten, Machtspiele, Besserwisserei, mangelnde Anerkennung, liebloses Verhalten. Das können Skandale sein, die Schlagzeilen machen, z.B. Berichte über sexuellen Missbrauch in kirchlichen Einrichtungen und Gemeinden. Manchmal hat man den Eindruck, die Kirche bröckelt. Ich meine jetzt nicht die Kirche in Gräfenneuses, die von acht Familien in Ordnung gehalten wird. Verputz kann da nicht abbröckeln, weil die Mauersteine naturbelassenen sind. Ich meine das Bröckeln im übertragenen Sinn: Wir merken das Bröckeln daran, dass jedes Jahr eine beträchtliche Zahl Gemeindeglieder die Kirchen verlässt, es gibt weniger Pfarrerinnen und Pfarrer, hier und da weniger Ehrenamtliche, weniger Rückhalt in der Gesellschaft, und durch Corona weniger Kontakt und Gemeinschaft, wo doch die Kirche eigentlich davon lebt, dass wir als Christen zusammenkommen.

Umso dankbarer sind wir, dass die Corona-Situation derzeit entspannter ist, auch wenn die Viren uns noch länger beschäftigen werden. Wir sind dankbar, dass wir den Kirchweihgottesdienst so miteinander feiern können. Kirche bröckelt, ja. Aber die Kirche ist lebendig. Man kann es sehen und erleben. An diesem Gottesdienst und auch an anderen

Dingen. – Erfreulich und ärgerlich. So wird die sichtbare Kirche erlebt. Als sichtbare Kirche kommt die Kirche in den Medien vor. Doch es gibt noch eine andere Seite, die nicht nur in den Medien zu kurz kommt bzw. überhaupt nicht wahrgenommen wird. Eine Seite von Kirche, die auch in unserem Bewusstsein wahrscheinlich kaum vorkommt. Nämlich die unsichtbare, die verborgene Kirche. Die nicht von Menschen gemacht ist, sondern von Gott, durch seinen Geist. Kirche als Geschöpf Gottes. Wir werden davon noch singen.

Sichtbare und unsichtbare Kirche sind nicht getrennt voneinander zu denken. Die unsichtbare Kirche geht aber nicht in der sichtbaren Kirche auf.

Lassen Sie mich dazu Sätze von Martin Luther zitieren. Luther gehört nicht nur den Protestanten, er gehört auch der katholischen Kirche.

Denn als katholischer Mönch wollte er zu seiner Zeit dazu beitragen, die bröckelnde Kirche zu reformieren.

Luther hat folgendes über die Kirche gesagt. und er nimmt dabei die unsichtbare Kirche in den Blick:

„Es ist dies Stück „Ich glaube eine heilige christliche Kirche“ eben so wohl ein Artikel des Glaubens als die andern. Darum kann keine Vernunft die Kirche erkennen, auch wenn sie alle Brillen aufsetzt. Kirche will nicht ersehen, sondern erglaubt sein. Glaube aber ist von dem, was man nicht sieht (Hebräer 11). Die erglaubte Kirche singet mit ihrem Herrn auch das Lied: ‚Selig ist, der sich nicht ärgert an mir‘.“

Luther hat diese Sätze 1530 geschrieben, als er über Texte aus der Johannesoffenbarung nachdachte. Kirche will nicht ersehen, sondern erglaubt sein. Luther unterscheidet also zwischen der sichtbaren und der unsichtbaren Kirche. Die sichtbare Kirche weist allerlei Mängel auf. Sie kann Anlass zum Zweifeln und Verzweifeln geben. Die unsichtbaren Kirche dagegen will erglaubt sein. Das will ich nun anhand von Texten aus der Offenbarung noch etwas vertiefen.

Lenken wir unseren Blick nun auf die unsichtbare Kirche!

Wir haben als Lesung einen Abschnitt aus der Offenbarung des Johannes gehört. Der Seher Johannes hört und sieht, wie vieltausendmal tausend Engel um den Thron Gottes im Himmel Gottesdienst feiern und Gott samt Christus die Ehre geben.

Unzählig groß ist die Schar derer, die den himmlischen Gottesdienst feiern. Sehen können wir das nicht. Es ist die unsichtbare Kirche, die erglaubte Kirche. Johannes schreibt das den Christen in der Verfolgung. Sie hatten in den ersten Jahrhunderten keine schönen Gebäude. Sie trafen sich oft heimlich. Es waren meist kleine Gemeinden. Ihr Leben war bedroht. Erbärmlich sah die Wirklichkeit dieser Christen aus. Manche haben dem Druck von außen nicht standgehalten, haben ihren Glauben aufgegeben und dem Kaiser geopfert. In der sichtbaren Kirche hat es schon immer gebröckelt. In diese Situation hinein tröstet der Seher Johannes die bedrängten Christen. Er verweist sie auf die unzählbar große Schar derer, die Gott im Himmel loben und dienen. Tausendmal tausend Engel. Dazu die 24 Ältesten, mit denen auch Engelwesen gemeint sein dürften. Sie stehen für die Fülle der Zeit. 24 ist eine Anspielung auf die Zahl der Tagesstunden. Tag und Nacht loben sie Gott.   

Am18. Juni konnte Hans Maier seinen 90. Geburtstag feiern. Er war nicht nur Bayerischer Kultusminister von 1970 bis 1986, sondern auch Präsident des ZdK Zentralkomitees der Deutschen Katholiken (1976-1988). In seiner Gemeinde in München spielt er heute noch die Orgel.  In einem Interview für den BR sagte er: „Für mich ist der Höhepunkt immer das Sanctus, wo es heißt, dass wir einstimmen in den Gesang der Engel. Mehr kann man von der Musik nicht sagen. Das hat mich sehr geprägt. Daher bin ich mit der Kirche eigentlich relativ selten im Streit und meistens in großer Übereinstimmung, weil ich zwar sehr wohl das Versagen der Menschen – mich eingeschlossen – sehe, aber auf der anderen Seite auch die Kontinuität der Botschaft, das Evangelium, das ja nicht zufällig „gute Botschaft“, „Frohe Botschaft“ heißt.“ Hans Maier kritisierte in seiner Biografie den Ausstieg seiner Kirche aus dem staatlichen Schwangerschaftsberatungssystem und engagierte sich für Donum vitae. Daraufhin verbat ihm der damalige Regensburger Bischof Müller Auftritte in kirchlichen Räumen. An Hans Maier kann man gut erkennen, wie wichtig und hilfreich die Unterscheidung von sichtbarer und unsichtbarer Kirche ist. Wer in der Kirche nur Menschen am Werk sieht, der übersieht etwas Wesentliches. Er übersieht, dass es die Kirche ohne das Wirken Gottes nicht gäbe.

Noch ein anderer Hinweis aus der Offenbarung, wo es im Kapitel 14 heißt: „Selig sind die Toten, die in dem Herrn sterben von nun an. Ja, spricht der Geist, sie sollen ruhen von ihrer Mühsal; denn ihre Werke folgen ihnen nach.“ Die Kirche ist ein Raum für Lebende und Tote. Unseren Vorfahren war das so wichtig, dass sie die Toten in der Kirche oder um die Kirche herum beerdigt haben. Die Toten teilen die Seligkeit ihres „Sterbens im Herrn“ mit den Lebenden. Das ist unsichtbare Kirche, eine Gemeinschaft der Lebenden und der Toten. „Es gibt den Spruch: Früher wurden die Menschen 40 oder 50 plus Ewigkeit; heute werden sie nur noch 80 oder 90.“ Das Bewusstsein, dass die Kirche ein Raum für Lebende und Tote ist, erlebe ich in der katholischen Kirche präsenter als bei uns Evangelischen. Da wird regelmäßiger für die Verstorbenen gebetet.

Schließlich sieht Johannes das neue Jerusalem wie eine geschmückte Braut für ihren Mann. Auch das gehört zur unsichtbaren Kirche, zur erglaubten Kirche, dass sie einer Zukunft bei Gott entgegengeht.

Luther sagt: „Unsere Heiligkeit ist im Himmel, da Christus ist, und nicht in der Welt vor den Augen, wie ein Kram auf dem Markt.“

Bei Christus im Himmel ist unsere Heiligkeit. Verborgen. Unsichtbar. Erglaubt. Das ist keine Weltflucht. Das ist heilsam. Weil die sichtbare Kirche, in der fehlbare Menschen am Werk sind, keine perfekte Gemeinschaft herstellen kann. Es braucht den Blick auf die unsichtbare Kirche, es braucht den Blick auf Gottes Wirken, um das Geheimnis der Kirche besser wahrnehmen zu können.

Aus der anglikanischen Kirche stammt das Lied, das wir nun singen. Es steht sowohl im Evangelischen Gesangbuch als auch im Gotteslob. Ein wahrhaft ökumenisches Lied. Darin ist auch davon die Rede, dass die Kirche als erglaubte, unsichtbare Kirche, Gottes neue Schöpfung ist, eine Braut für Christus. Sie ist eine Gemeinschaft der Lebenden und der Toten, der Erlösten. Jeder Gottesdienst ist ein Einstimmen in den himmlischen Gottesdienst. Darin steckt eine große Kraft. Noch einmal der Seher Johannes: Und jedes Geschöpf, das im Himmel ist und auf Erden und unter der Erde und auf dem Meer und alles, was darin ist, hörte ich sagen: Dem, der auf dem Thron sitzt, und dem Lamm sei Lob und Ehre und Preis und Gewalt von Ewigkeit zu Ewigkeit!

Lied

Die Kirche steht gegründet allein auf Jesum Christ,
sie, die des großen Gottes erneute Schöpfung ist.
Vom Himmel kam er nieder und wählte sie zur Braut,
hat sich mit seinem Blute ihr ewig angetraut.