Liebe Gemeinde!
Die biblischen Texte dieses Sonntags kreisen um den Gedanken der Einladung. Im Evangelium haben wir ein Gleichnis gehört. Gott lädt uns ein in seine Tischgemeinschaft. Er will mit uns zusammen sein. Als Christen glauben wir an einen zugewandten, einladenden Gott.
Im Predigttext wird dieses Thema weitergeführt.
Wenn wir an einen einladenden Gott glauben, hat das Auswirkungen. Dann soll das auch in unseren Gemeinden erlebbar sein: Wir wollen offen sein für andere, einladend, freundlich.
Die Einschränkungen durch Corona haben das in den letzten Monaten stark erschwert. Vieles war nicht möglich.
Einladende Kirche sein. Der 3. Ökumenische Kirchentag war ursprünglich ganz anders geplant. Man hat mit über 100.000 Besuchern in Frankfurt gerechnet. Die Einladung galt allen Interessierten, sie galt evangelischen und katholischen Christen, Menschen anderer Religionen, Gottsuchern und Zweifelnden, Engagierten und Fragenden. Kirche ist von ihrem Selbstverständnis her einladend, offen für jedermann und jede Frau. So verstehe ich auch meinen Dienst. Ich möchte einladend sein, offen für alle.
Doch in der Praxis sieht es mitunter anders aus. Die Kirche als Institution gilt vielen als verstaubt und altmodisch. Es wird eine Binnensprache beklagt, eine Sprache Kanaans, die Außenstehende schwer verstehen. Konfirmanden können mit dem gewohnten Gemeindegottesdienst nicht viel anfangen. Manche vermissen beim Zusammenkommen zum Gottesdienst auch den persönlichen Austausch. Beim Kirchenkaffee gelingt das leichter. Ich finde es gut, wenn nach dem Gottesdienst nicht gleich alle wieder ihrer Wege gehen, sondern wenn man ins Gespräch kommt.
Einladend sein heißt auch, dass man auf neue Gesichter zugeht, sich interessiert und Beziehungen knüpft.
Die Frage, wie wir miteinander umgehen, wie wir nach innen und nach außen wirken, die hat schon den Apostel Paulus in Korinth beschäftigt.
Ich lese aus 1. Kor. 14:
1 Strebt nach der Liebe! Bemüht euch um die Gaben des Geistes, am meisten aber um die Gabe der prophetischen Rede! 2 Denn wer in Zungen redet, der redet nicht für Menschen, sondern für Gott; denn niemand versteht ihn, vielmehr redet er im Geist von Geheimnissen. 3 Wer aber prophetisch redet, der redet den Menschen zur Erbauung und zur Ermahnung und zur Tröstung. 23 Wenn nun die ganze Gemeinde an einem Ort zusammenkäme und alle redeten in Zungen, es kämen aber Unkundige oder Ungläubige hinein, würden sie nicht sagen, ihr seid von Sinnen? 24 Wenn sie aber alle prophetisch redeten und es käme ein Ungläubiger oder Unkundiger hinein, der würde von allen geprüft und von allen überführt; 25 was in seinem Herzen verborgen ist, würde offenbar, und so würde er niederfallen auf sein Angesicht, Gott anbeten und bekennen, dass Gott wahrhaftig unter euch ist.
Liebe Gemeinde!
Paulus nimmt wahr, dass es in der Gemeinde in Korinth verschiedene Gaben des Geistes gibt. Im 12. Kapitel hat er bereits sieben aufgezählt. Im 13. Kapitel betont er die Liebe als das Entscheidende. Hier im 14. Kapitel stellt er die Liebe allem weiteren voran: „Strebt nach der Liebe!“ – Vom Kapitel vorher ist noch im Ohr: Ohne die Liebe ist alles andere nichtig. Da mag jemand noch so toll beten können mit Lauten, die niemand versteht, da mag jemand besonders prophetisch reden können – ohne die Liebe nützt es niemandem. Strebt nach der Liebe! Das ist die Überschrift.
Während meines Studiums in Erlangen habe ich im Rahmen der Seelsorgeausbildung Krankenbesuche gemacht. So lernte ich eine Frau aus dem Bayerischen Wald kennen. Sie war dankbar, weil sie kaum Besuche erhielt. Wir blieben in Kontakt. Sie und ihr Mann waren in einer Freikirche engagiert. Sie luden mich an einem Wochenende zum Langlauf ein. Skianzug, Ski und Stiefel liehen sie mir aus. Das war das einzige Mal, dass ich Langlauf gemacht habe. Ein tolles Erlebnis, das sich mir eingeprägt hat, weil der Bayerische Wald am Großen Arber damals zauberhaft verschneit war. Abends dann war es den beiden ein Bedürfnis mit mir zu beten. Da habe ich durch ihren Mann zum ersten Mal gehört, wie das klingt, wenn jemand mit Lauten betet, die man als Außenstehender nicht versteht. Ein Lallen. Glossolalie. Sprachengebet. Er konnte das Sprachengebet aus freien Stücken beginnen und beenden. Ich verstand nichts. Bei mir kam nur an, dass er wohl mit seinem Herzen ganz dabei war, Gott zu loben. Es wirkte auf mich aber auch komisch und als Student hat man sowieso viele Fragen im Kopf.
Ein Mitglied der Studentenmission, dessen Mutter ich später als Kirchenvorsteherin in Landshut kennenlernte, hat mich auch einmal versucht, zu missionieren. Ich empfand es als übergriffig und bedrängend. Er versuchte mir einzureden, dass man den Besitz des Heiligen Geistes nur am Sprachengebet erkennen könne. Mir ist das Sprachengebet etwas Fremdes geblieben. In 1. Kor. 14, 18f.sagt Paulus, dass er es auch praktiziert. „Ich danke Gott dafür, dass ich mehr als ihr alle in unbekannten Sprachen reden kann. Aber in der Gemeinde will ich lieber fünf Worte mit Sinn und Verstand sagen. Denn so kann ich andere besser unterweisen als mit zehntausend Worten in unbekannten Sprachen.“
Paulus schätzt das Gebet in anderen Sprachen, aber die prophetische Rede in der Gemeinde ist ihm wichtiger. Prophetische Rede ist für unsere Ohren etwas Missverständliches. Wir denken da schnell an Hellsehen oder die Zukunft voraussagen. Aber das meint Paulus nicht. Es geht nicht um einen Blick in die Zukunft, sondern um einen klaren Blick in die Gegenwart. Spüren, was dran ist. Spüren, was faul ist, und dann auch seinen Mund aufmachen und das rechte Wort zur rechten Zeit sagen. Nicht um den heißen Brei herumreden. Unbequeme Wahrheiten sagen.
Von der Wahrheit umgetriebene Investigativ-Journalisten haben für mich etwas Prophetisches. Sie decken das Böse auf, überführen, treten ein für Wahrheit und Gerechtigkeit.
Prophetisch hat der Jesuitenpater Alfred Delp kurz vor seiner Hinrichtung durch die Nazis geschrieben: Die Kirchen stünden sich „durch die Art ihrer Daseinsweise“ selbst im Weg; „wir sind trotz aller Richtigkeit und Rechtgläubigkeit an einem toten Punkt. Die christliche Idee ist keine der führenden und gestaltenden Ideen dieses Jahrhunderts. Immer noch liegt der ausgeplünderte Mensch am Wege.“ Delp sagt das Ende des 2. Weltkrieges, wo die Kirchen in weiten Bereichen versagt haben. Ihnen ging es mehr um die eigene Absicherung als darum, für die Gefolterten einzutreten.
Die Kirche am toten Punkt. Der Münchner Kardinal Reinhard Marx hat Alfred Delp zitiert in seinem Rücktrittsgesuch an den Papst. Marx sieht Parallelen zu unserer Zeit. Die Mechanismen des Versagens ähneln sich. Die angebliche Rechtgläubigkeit wird über die verletzten Menschen gestellt. Die Kirche soll unverbeult durch die Zeit kommen. Marx hat als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz die Ankunft am toten Punkt nicht verhindern können. Durch die verschieden ausgeprägten Formen des Missbrauchs in allen Kirchen ist ein großer Vertrauensverlust entstanden. Die einladende Seite des Glaubens ist beschädigt, zuerst bei den Opfern, aber auch bei vielen anderen, die sich angewidert abwenden.
Kardinal Marx sieht klar: Es braucht den Mut, Verantwortung zu übernehmen. Sich klar an die Seite der Verletzten zu stellen. Schuld nicht unter den Teppich zu kehren. An Strukturen zu arbeiten, die weiterem Missbrauch vorbeugen. Auch in unserer Kirche wird daran gearbeitet. Pfarrerin Gerborg Drescher aus Castell ist in München mit dem Thema befasst und wird einen Artikel für unseren Gemeindebrief schreiben.
Prophetische Rede ist für Paulus ganz besonders wichtig. Denn die prophetische Rede verschweigt nichts. Sie ist an der Wahrheit interessiert. Sie bringt Gottes Willen zur Sprache. Jeder kann sie verstehen. Und wenn man unterschiedlicher Meinung ist, kann man gemeinsam darüber sprechen. Ziel der prophetischen Rede ist es, aufzubauen, zu trösten und zu ermahnen. Paulus empfiehlt den Korinthern, dass sie sich um die Gaben des Geistes bemühen, am meisten aber um die prophetische Rede. Diese Gabe des Geistes brauchen auch wir in unseren Tagen. An ihr wird erkennbar, dass Gott wahrhaftig unter uns ist.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. AMEN
Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag,
Ihr Pfarrer Hans Gernert