Die Predigt finden Sie hier als pdf. Liebe Gemeinde, liebe Jubilare! Herzlich willkommen hier in der Kirche Ihrer Kindheit und Jugend. Als Sie konfirmiert wurden, gab es noch einen Hochaltar im Rokoko-Stil an der Nordseite. Die Darstellung der Kreuzigung war flankiert von zwei Engeln, die zur Konfirmation mit Asparagus dekoriert wurden. Zusätzlich schmückte eine Girlande mit weißen Rosen den Altar, der in seinem Aufsatz einen geschnitzten guten Hirten als Brustbild zeigte. Seit 1974 hat die Kirche diese neue Ausrichtung gen Westen und gilt als einzige Herrnhuter Saalkirche in Bayern. Jung, gesund, unbeschwert und voller Zukunftsträume sind Sie bei Ihrer Grünen Konfirmation einst in diese Kirche eingezogen. Heute haben Sie coronabedingt eher einzeln diesen Raum betreten, nicht mehr so jung, gesund und unbeschwert wie damals. Aber angefüllt mit Erinnerungen ganz unterschiedlichster Art. So erscheinen wir vor Gott. Wir bringen mit, was war und was aus uns geworden ist. Hier ist Gottes Angesicht, hier ist lauter Trost und Licht.
Manchmal sind es einfache Dinge, über denen man ins Staunen und Nachdenken kommen kann. Anfang dieser Woche habe ich meinem Vater beim Honigschleudern geholfen. Nebenbei hat er mir manches über die Bienen erzählt, zum Beispiel dass die Bienen für ihre Flüge selbst viel Pollen und Nektar verbrauchen. Honigbienen leben im Winter bis zu 6 Monate, aber nur bis zu 6 Wochen während der Sommermonate. Diese Bienen verbringen ihre ersten drei Lebenswochen im Bienenstock mit der Fütterung der Larven und besorgen die Hausarbeit im Bienenstock. Die letzten 3 Wochen ihres Lebens befliegen sie die Umgebung auf der Suche nach Nektar und Pollen. Eine einzelne Biene Honigbiene produziert in ihrem kurzen Leben etwa nur ein Fünftel eines Teelöffels Honig. Für 500 g müssen Bienen rund vierzigtausend Mal ausfliegen. Dafür besuchen sie 2 bis 7 Millionen Blüten. Dabei legen sie eine Strecke zurück, die dem dreifachen Erdumfang entspricht. Staunen kann man über die Süße des Honigs. Staunen kann man über das, was Forscher über die Bienen herausgefunden haben.
Heute sind Sie, liebe Jubilarinnen und Jubilare, in der Kirche, in der Sie konfirmiert wurden 1946, 1950, 1951, 1956, 1960 oder 1961 unter Pfarrer Arndt und die Goldenen Konfirmanden unter Singenstreu 1970 oder 1971. Vielleicht überkommt Sie in dem einen oder anderen Moment heute auch ein Staunen. Zum Beispiel darüber, dass Sie nach langer Zeit wieder hier sind und die Luft Ihrer geistlichen Heimat spüren.
Das Staunen-Können gehört für mich zum Glauben. Beim Staunen bin ich berührt von etwas Größerem als ich selbst. Im Staunen werde ich über mich selbst hinausgeführt. Als Christ sage ich: Im Staunen ahne ich etwas von der Herrlichkeit Gottes, von der Größe des Schöpfers. In manchen Momenten, in denen ich mir selbst bewusstwerde, staune ich darüber, dass es mich gibt. Ich staune über das Geschenk des Lebens. Ich bin angerührt und berührt von etwas, das größer ist als ich, das mich mein Leben in einem weiten Horizont sehen lässt.
Wie auf einem Berg, wo mein Blick in die Ferne schweifen kann. Der Alltag verschwindet ganz klein da unten, wo die Autos fahren und die Menschen sich in dem Allerlei des Lebens verlieren. Der oft auf anderes konzentrierte, eingeengte Blick weitet sich für das große Ganze. Manche sprechen von der All-Eins-Erfahrung: Ich fühle mich als Teil eines großen Ganzen.
Von einem Berg haben wir in der Lesung gehört. Berge in der Bibel sind nicht selten Orte der Nähe Gottes. Denken wir an den Sinai oder den Horeb. Die 11 Jünger gingen nach Galiläa. Sie stiegen auf den Berg, wohin Jesus sie bestellt hatte. 17 Als sie ihn sahen, knieten sie nieder. Einige aber zweifelten.
Die elf Jünger stammten alle aus Galiläa. Von dort waren sie mit Jesus nach Jerusalem aufgebrochen und haben in kurzer Zeit vieles erlebt. Die Heilung des Blinden in Jericho. Die Einkehr beim Zöllner Zachäus. Jesu Einzug in Jerusalem. Seine Reden im Tempel und seinen Zorn über die Geschäftemacherei. Das letzte Abendmahl. Gethsemane. Die Verhaftung, Verurteilung und Kreuzigung. Und dann: Ostern. Die Frauen am Grab. Ein Engel, der die Frauen zu den Jüngern schickt. Sie sollen nach Galiläa gehen; dort werden sie den Auferstandenen sehen. Und jetzt sind sie wieder in ihrer Heimat. In Galiläa. Auf einem Berg. Welcher es ist, wird nicht erzählt.
Vielleicht überkommt Sie ein Staunen. Sie sind jetzt auch wieder da, sind in Ihrer Heimat, da wo alles angefangen hat für Sie – eben auch mit Jesus. Welcher Engel hat Sie vielleicht angesprochen: „Geh hin!“?. „Feiere mit, wenn die andern dort zusammenkommen!“ Wenn wir Gottesdienst feiern, sind wir Gerufene. Wir folgen einem Ruf. Einem inneren Ruf. Dem Ruf Gottes. Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes kommen wir zusammen. Es ist ein geistliches Geschehen. Und auch dieser Zusammenkunft gilt die Verheißung des Auferstandenen: „Dort werdet ihr mich sehen!“
Wenn es gut geht und geschenkt wird, dann komme ich bei Predigtvorbereitungen ins Staunen. Eine Entdeckung, die mich zum Staunen brachte, weil sie so in die Tiefe geht: Der Evangelist Matthäus, nach dem diese Kirche vor gut 20 Jahren benannt wurde, hat mehrere Erzählfäden verwoben. Einer davon ist der Titel „Immanuel“ für Jesus. Gleich in der Geburtsgeschichte Mt 1 „sie werden ihm den Namen Immanuel geben, das heißt übersetzt: Gott mit uns.“ Diese Deutung ist offen für uns, dass wir Jesus so erkennen, dass in ihm Gott bei uns ist. Mit dieser Sicht sollen wir das ganze Mt-Evangelium lesen: In Jesus Gott kommt selbst zu den Menschen, spricht zu ihnen, heilt. „Gott mit uns in Jesus.“ Was für ein Missbrauch und eine unselige Fehldeutung, als man diese Worte „Gott mit uns“ auf die Koppelschlösser der Soldaten geprägt hat. Keiner kann über Gott verfügen. Aber umgekehrt dürfen wir darüber staunen, dass Gott mit uns ist - in Jesus. Nur bei Matthäus ist das Wort Jesu überliefert: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.“ Und wie das Mt-Evangelium beginnt, so endet es. Mit dieser Zusage: „Seid gewiss: Ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Welt.“ Matthäus berichtet nicht von einer Himmelfahrt, sondern von der bleibenden Gegenwart des Auferstandenen. Darum gilt auch uns die Verheißung, dass wir ihn sehen werden, wenn wir zusammenkommen in seinem Namen - mit den Augen des Glaubens. Freilich, als die Jünger auf dem Berg zusammenkamen und dem Auferstandenen begegneten, zweifelten etliche. In den letzten Jahrzehnten hat man solche Sätze neu entdeckt. Es ist gut, dass Matthäus das nicht übergeht. Der Zweifel wird in der Bibel geachtet und nicht abgewertet. Der Zweifel gehört zu einem ehrlichen Glauben dazu. Denn wir können nichts beweisen. Gott, der Auferstandene, der Heilige Geist bleibt für uns unsichtbar, nicht verfügbar. Das lässt uns bescheiden bleiben und nicht überheblich werden. Es macht uns auch solidarisch mit allen, die warum auch immer Zweifel haben und äußern.
Doch dann wird dem Zweifel etwas entgegengesetzt. Es ist die Kraft des Glaubens, den Gott selbst in uns weckt auf geheimnisvolle Weise. Es ist zum Staunen. Auf einmal werden Bibelworte lebendig, berühren mich, ergreifen mich, lassen mich einen weiten Horizont schauen wie wenn ich nach einer anstrengenden Wanderung den Gipfel eines Berges erreicht habe und eine grandiose Aussicht auf das Ganze genieße.
Mir wird bewusst: Jesus hat Anteil an der Macht Gottes. Auf einmal beginnen seine Worte zu leuchten in österlichem Licht: „Mir ist gegeben alle Macht im Himmel und auf der Erde.“ Was mir an machtvollen Dingen im Leben widerfährt – schöne und schwierige Widerfahrnisse – in allem darf ich mich bei ihm geborgen wissen.
Er hat ja das Schlimmste hinter sich, den Tod. Er will, dass wir ihn sehen. Er zieht uns zu sich. Er öffnet uns Zukunft. Das ist wahrlich zum Staunen.
Zum Staunen bringen mich manche Kunstschätze in unserer Pfarrei. Einen haben Sie als Bild vor sich: Die Krönung Marias aus dem Altar in Füttersee. Gemalt wenige Jahre vor der Reformation. Ich sehe Maria als Prototyp für alle Glaubenden. Eine schöne, junge Frau in weißem Gewand. Alle Schuld und Erdenlast ist von ihr genommen. Sie hat ihre Hände überkreuzt. Wer will, kann das einmal ausprobieren, wie sich das anfühlt. Mit den überkreuzten Händen umarme ich mich. Ich nehme mich an mit allem, was in mir ist. Demütig lasse ich mich von Gott erfüllen, von ihm beschenken. Äußerlich dargestellt ist, wie Gott-Vater und Gott-Sohn Maria eine Krone aufs Haupt setzen. Darüber schwebt der Heilige Geist in Gestalt einer Taube. Engel umgeben den Thron Gottes. Maria sieht das Ganze nicht direkt. Ihr Blick geht eher nach innen. Sie spürt die Gemeinschaft mit dem dreieinigen Gott in sich und schützt diesen heiligen Raum in sich mit ihren überkreuzten Händen. Jubelkonfirmation. Erinnerung daran, dass ich getauft bin auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Hl. Geistes. Das heißt doch: Ich gehöre zu Gott. Ich bin gerufen und berufen zur Gemeinschaft mit dem dreieinigen Gott. Er ist meine Zukunft. Das darf ich heute neu spüren, darüber staunen, es in mir bewahren wie Maria auf dem Bild. Ich bin gekrönt, schon jetzt. „Lobe den Herrn meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat. Der dich krönet mit Gnade und Barmherzigkeit.“ Als gekrönte Häupter dürfen wir uns verstehen. Geadelt von Gott. Trotz allem, was dagegen zu stehen scheint. Es gilt. Denn es ist Gottes Gnade und Barmherzigkeit. Das dürfen wir bewahren in uns – und er wird uns bewahren. Denn er ist bei uns alle Tage.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. AMEN
(Predigt von Pfarrer Hans Gernert)