Ein Skorpion trifft einen Frosch am Ufer eines Flusses. Er fragt den Frosch: „Trägst Du mich hinüber? Ich kann ja nicht schwimmen.“ „Ich bin doch nicht lebensmüde,“ antwortet der Frosch. „Du wirst mich stechen und ich muss sterben.“ Der Skorpion antwortet: „Warum sollte ich das tun? Ich würde doch mit Dir untergehen!“ „Da hast Du Recht,“ sagt der Frosch und trägt den Skorpion durch das Wasser. Mitten im Fluss sticht der Skorpion ihn doch. „Warum hast Du das getan?“, fragt der sterbende Frosch. Und der Skorpion antwortet im Ertrinken: „Das ist nun mal meine Natur…“
Eine orientalische Fabel. Im Kino wurde sie immer wieder erzählt. Von einem Gangster, einem Mafioso, einem Terroristen. Und immer wieder ist die Pointe: Ja, ich bin ein Mörder. Ich bereue das vielleicht sogar. Aber es ist eben meine Natur…
„Toxische Männlichkeit“. Dieser Begriff begegnet zuletzt immer öfter. Toxische, also: giftige, vergiftende Männlichkeit. Aggressiv, herrisch, zerstörerisch. Gewalttätig und gefährlich. Ich denke an Halbstarke und Neonazis, die mir nichts dir nichts wehrlose Menschen verprügeln. In der Gruppe fühlen sie sich stark und bestärken sie sich gegenseitig.
Bei toxischer Männlichkeit denken wir in diesen Tagen vor allem an Wladimir Putin und den russischen Angriffskrieg. Ein Raubmörder im Gewand eines Präsidenten. Waren wir im Westen naive Frösche? Dass wir uns auf das grausame Spiel dieses kalt berechnenden KGB-Offiziers eingelassen haben?
Oder war Putin ursprünglich der Frosch? Weil er der Nato vertraut hat, bis die sich bis zur russischen Grenze ausdehnte? Und der im letzten Moment die Notbremse gezogen hat? So will es das russische Narrativ, die russische Propaganda. Diese Sichtweise lebt jedoch von der Voraussetzung, dass Großmächte über ihre Nachbarn bestimmen dürfen. Dass freie Völker nicht frei ihre Staatsform und ihre Partner wählen dürfen. Das ist toxisches, herrisches Denken!
Liegt die Gewalt in unserer Natur? Das Herrschenwollen? So, wie das Zustechen die Natur des Skorpions ist? Können Menschen letztlich nicht anders? Oder zumindest Männer?
Hören wir auf diesem Hintergrund den Predigttext bei Markus 10, 35-45:
35Da gingen zu ihm Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, und sprachen zu ihm: Meister, wir wollen, dass du für uns tust, was wir dich bitten werden. 36Er sprach zu ihnen: Was wollt ihr, dass ich für euch tue? 37Sie sprachen zu ihm: Gib uns, dass wir sitzen einer zu deiner Rechten und einer zu deiner Linken in deiner Herrlichkeit. 38Jesus aber sprach zu ihnen: Ihr wisst nicht, was ihr bittet. Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke, oder euch taufen lassen mit der Taufe, mit der ich getauft werde? 39Sie sprachen zu ihm: Ja, das können wir. Jesus aber sprach zu ihnen: Ihr werdet zwar den Kelch trinken, den ich trinke, und getauft werden mit der Taufe, mit der ich getauft werde; 40zu sitzen aber zu meiner Rechten oder zu meiner Linken, das zu geben steht mir nicht zu, sondern das wird denen zuteil, für die es bestimmt ist. 41Und als das die Zehn hörten, wurden sie unwillig über Jakobus und Johannes. 42 Da rief Jesus sie zu sich und sprach zu ihnen: Ihr wisst, die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an. 43Aber so ist es unter euch nicht; sondern wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein; 44und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein. 45Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und sein Leben gebe als Lösegeld für viele.
In unserem Predigttext geht es um diese männliche Herrschsucht. Es gab sie sogar im engsten Kreis Jesu. Bei seinen Jüngern. Die Präparanden haben versucht, sich in die beiden Brüder Jakobus und Johannes hineinzuversetzen. Warum wollten sie unbedingt im Himmel neben Jesus sitzen? Zwei Antworten kamen ihnen: Zum einen sind sie von Anfang an mit Jesus durchs Land gezogen. Sie gehören zum innersten Kreis um Jesus. Sie wollen ganz nah bei ihm sein, jetzt auf der Erde schon und dann einmal im Himmel. Das geht vielleicht auch vielen von uns so. Nichts soll uns von Jesus trennen.
Doch Jesus hört aus ihrem Wunsch noch etwas anderes heraus: Sie wollen herrschen. Chef sein. Vorne sitzen. Mit Gericht halten über die Feinde, die ihnen Leid und Unrecht zufügen. Vielleicht geht es ihnen dabei um einen himmlischen Ausgleich für erlittenes Unrecht.
Die anderen Jünger hören es und ärgern sich über sie. Warum eigentlich? Ist ihre Bitte verwerflich? Oder wollen sie selbst gerne vorne sitzen möchten? Jesus kriegt die Anspannung unter den Jüngern mit. Er antwortet darauf:
Ihr wisst, die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an.
Wir erleben heute leider wieder eine Zunahme von Autokraten, die ihre Völker mit Gewalt unterdrücken: Die bekanntesten sind Assad, mit dem Putin kooperiert, Putin selbst, der chinesische Staatspräsident Xi Jinping, die Militärjunta in Myanmar, Victor Orban, Brasiliens Präsident Bolsonaro, das saudische Herrscherhaus usw. Leider nichts Neues unter der Sonne. Es ist ernüchternd, dass Jesus die Gewalt von Herrschern genau so erlebt hat! Sein jüdisches Volk wurde vom Kaiser in Rom und seinen Handlangern unterdrückt. Die Unterdrückung durch die Pharaonen ist Teil der jüdischen Erinnerungskultur. Herodes war ein Gewaltherrscher. Jesus sieht das ganz klar: Herrschen und Gewalt gehören zusammen. Und je absoluter die Herrschaft, umso stärker die Gewalt. Das ist die Natur des Herrschens.
Demokratien versuchen das in den Griff zu bekommen. Indem sie die Herrschenden zwingen, sich regelmäßig einer Wahl zu stellen. Indem die Herrschaft eine zeitliche Grenze bekommt. Gesetze, Verträge und Bündnisse sollen die toxische Seite der Macht im Zaum halten.
Herrscher, die sich von niemand etwas sagen lassen und nur machtgierig denken, planen und handeln, können sich nur mit Gewalt an der Macht halten. Sie unterdrücken die freie Meinungsäußerung, die Pressefreiheit und die Versammlungsfreiheit. Sie hebeln die Eigenständigkeit der Justiz aus und spielen sich selbst als oberste Richter auf. Jesus sieht das nüchtern und klar: Der Wille zur absoluten Macht und die Anwendung von Gewalt hängen zusammen. Wer groß sein will, der geht über Leichen und begibt sich in ein gefährliches Kraftfeld.
In der Gemeinschaft der Glaubenden soll das nicht so sein. Jesus ist da ganz unmissverständlich. Er sagt sogar nicht nur: Das soll nicht sein. Sondern: Aber so ist es unter euch nicht; Ich füge hinzu: Von mir habt ihr es doch gelernt, dass es nicht darum geht, sich gegen andere durchzusetzen, sondern für einander und besonders für die Schwächsten einzusetzen. Nicht herrschen, sondern mit allen Gaben, die man hat, anderen dienen. Jesus: Wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein; und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein.
Jesus fordert für die Kirche eine grundsätzlich andere Haltung. Dabei verbietet er das Streben nach oben nicht. Im Gegenteil. Man soll dieses natürliche Streben, der Erste und Größte sein zu wollen, bewusst nutzen und auf ein anderes Ziel richten. Wer groß sein will, soll sich durch Dienen hervortun. Das Ziel des Strebens ist es also nicht, sich selbst nach vorne zu boxen, sondern seine Mitmenschen nach vorne zu bringen.
Ihr/Die Präparanden haben als Erkenntnis aus unserem Bibeltext festgehalten: „Die, die zu etwas kommen wollen, die müssen friedlich handeln und nicht ihre Übermacht ausspielen.“ „Besser und größer sein wollen hat etwas Gefährliches.“ „Man sollte über alles reden und nicht gleich gewalttätig werden und andere beleidigen und verletzen.“
Wir haben uns auch kurz auf den Zusammenhang unseres Bibeltextes geschaut. Unmittelbar vorher steht die dritte Leidensankündigung:
Am Beginn seines Weges nach Jerusalem sagt Jesus seinen Jüngern, dass er mit seinem Tod rechnet, aber auch mit seiner Auferstehung. Das nehmen Jakobus und Johannes als Anlass, um sich einen Platz im Himmel neben Jesus reservieren zu lassen. Jesus zeigt ihnen seine und ihre Grenze auf und antwortet ihnen sinngemäß, dass das Gottes Sache ist. Darum kann er es ihnen nicht versprechen. Er selbst sagt jeder Art von Machtgehabe und Gewalt ab. Gleich unserem Text heilt Jesus den blinden Bartimäus in Jericho. Mit Bartimäus sollen auch uns die Augen aufgehen dafür, wie Jesus in Jerusalem einzieht: ohne Gewalt, ohne Prunk, auf einem Esel.
Um in der Fabel zu bleiben. Jesus ist der Frosch, der bereit ist, den Skorpion ans andere Ufer zu bringen. Er weiß, welches Risiko er eingeht. Am Ende hat Jesus den Preis dafür bezahlt. Er wurde von Menschen ans Kreuz geschlagen. Weil die Welt voller Skorpione ist.
Heißt das: Wir müssen den Skorpionen das Feld überlassen? Nein. Jesus sagt in unserem Text: Unter euch darf die toxische Männlichkeit keinen Raum haben. Wer als Gewaltherrscher lebt, schließt sich aus der Gemeinschaft der Dienenden und Liebenden aus. Aus der zivilisierten Welt. Zu bestimmten Zeiten muss man die Skorpione isolieren. Die Beziehungen abbrechen. Sie nicht wählen. Ihnen keine Verantwortung übertragen. Sie in die Wüste schicken – in den natürlichen Lebensraum der Skorpione. Die Isolierung Putins ist das Gebot der Stunde. Um klar zu machen: Für toxische Gewaltbereitschaft ist bei uns kein Raum. Irgendwann wird dann wieder die Zeit kommen, Vertrauen zu wagen. Weil es letztlich um die Liebe geht, die sich nicht nach vorne boxt, sondern bestrebt ist, die Mitmenschen nach vorne zu bringen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Es gibt so viel Unrecht auf unserer Erde, das förmlich zum Himmel schreit. Es fällt uns nicht leicht, Beispiele zu benennen.
Die Psalmen geben Menschen, die Unrecht erleiden, eine Stimme und verleihen ihnen Worte. So auch Psalm 43.
Da schreit ein Mensch: Gott, schaffe mir Recht.
Judika. Nach diesem Aufschrei ist dieser Sonntag benannt: „Judika“ – Gott, schaffe mir Recht. Greif ein. Lass den Übeltäter nicht triumphieren.
Wir wollen diesen Psalm für alle beten, deren Leben durch Gewalt bedroht ist:
- für Kinder, die misshandelt werden.
- für Frauen, die ausgebeutet und ihrer Würde beraubt werden.
- für Schwache, denen Unterstützung und Hilfe verweigert wird.
- für Menschen, die von anderen zu Unrecht schlechtgemacht, eingeschüchtert, übers Ohr gehauen, hintergangen, belogen, erniedrigt und gemobbt werden.
- für die Armen, die durch die Habgier von Reichen ins Elend getrieben werden.
Gott, verschaffe ihnen Recht!
Psalm 43
1Schaffe mir Recht, Gott, und führe meine Sache wider das treulose Volk
und errette mich von den falschen und bösen Leuten!
2Denn du bist der Gott meiner Stärke: Warum hast du mich verstoßen?
Warum muss ich so traurig gehen, wenn mein Feind mich drängt?
3Sende dein Licht und deine Wahrheit, dass sie mich leiten
und bringen zu deinem heiligen Berg und zu deiner Wohnung,
4dass ich hineingehe zum Altar Gottes, zu dem Gott, der meine Freude und Wonne ist,
und dir, Gott, auf der Harfe danke, mein Gott.
5Was betrübst du dich, meine Seele, und bist so unruhig in mir?
Harre auf Gott; denn ich werde ihm noch danken,
dass er meines Angesichts Hilfe und mein Gott ist.
Fürbitten
Du Gott des Friedens, höre die Schreie der Menschen nach Frieden, Recht und Gerechtigkeit.
Höre die Hilferufe der Menschen in Mariupol und aller, die in Kellern und Tunneln Schutz suchen.
Höre die Schreie der Hungernden, der Kinder, der Verschleppten, der Soldatenfrauen und -mütter, der Flüchtenden.
Schaffe ihnen Recht.
Höre die Schmerzensschreie der Verwundeten, der Gebärenden, der Kranken, der Sterbenden.
Behüte unsere Seelen, wenn wir Nachrichten hören und Bilder sehen, die uns verstören. Hilf uns, gut mit uns selbst umzugehen und uns zu öffnen für das, was uns Kraft gibt, Halt und eine klare Sicht.
Sei du Hilfe und Kraft, die Frieden schafft, sei in uns, uns zu erlösen.
Amen