Predigt in Wasserberndorf am 17.102021 (Hans Gernert) über Kohelet 12: Denk an deinen Schöpfer in deiner Jugend, ehe die bösen Tage kommen und die Jahre nahen, da du wirst sagen: »Sie gefallen mir nicht«; 2ehe die Sonne und das Licht, der Mond und die Sterne finster werden und die Wolken wiederkommen nach dem Regen, – 3zur Zeit, wenn die Hüter des Hauses zittern und die Starken sich krümmen und müßig stehen die Müllerinnen, weil es so wenige geworden sind, wenn finster werden, die durch die Fenster sehen, 4wenn die Türen an der Gasse sich schließen, dass die Stimme der Mühle leise wird und sie sich hebt, wie wenn ein Vogel singt, und alle Töchter des Gesanges sich neigen; 5wenn man vor Höhen sich fürchtet und sich ängstigt auf dem Wege, wenn der Mandelbaum blüht und die Heuschrecke sich belädt und die Kaper aufbricht; denn der Mensch fährt dahin, wo er ewig bleibt, und die Klageleute gehen umher auf der Gasse; – 6ehe der silberne Strick zerreißt und die goldene Schale zerbricht und der Eimer zerschellt an der Quelle und das Rad zerbrochen in den Brunnen fällt. 7Denn der Staub muss wieder zur Erde kommen, wie er gewesen ist, und der Geist wieder zu Gott, der ihn gegeben hat. 8Es ist alles ganz eitel, sprach der Prediger, ganz eitel. (Prediger 12, 1-8)
Liebe Gemeinde!
Es herbstet. Die Tage werden kürzer. Die Natur verändert sich. Laub fällt von den Bäumen. Da können trübe Gedanken aufkommen und melancholische Gefühle. Eine Frau schreibt in der Sonntagsblatt-Sprechstunde, dass ihr ein Herbstgedicht im Gemeindebrief auf den Magen ging. Das Gedicht stammt vom Dichter des Weltschmerzes Nikolaus Lenau:
„Durchs Fenster kommt ein dürres Blatt, / Vom Wind hineingetrieben; / Dies leichte offne Brieflein hat / Der Tod an mich geschrieben.“
Pfarrer Pisarski stellt diesem Gedicht ein positives gegenüber von Hilde Domin:
„Es knospt / unter den Blättern, / das nennen sie Herbst.“
Ich finde den Satz wohltuend: „Auch der Herbst hat seine schönen Tage.“ Da werde ich wie bei dem Gedicht von Hilde Domin angeregt, genau hinzuschauen, die Knospen zu entdecken und die bunten Farben des Herbstes zu genießen.
Wir haben das Lied gesungen: „Ach wie nichtig, ach wie flüchtig sind der Menschen Sachen. Alles was wir sehen, das muss fallen und vergehen.“ Michael Franck hat es 1652 gedichtet. Er war zunächst Bäcker und dann Lehrer in Coburg. Er hat die Zeit des 30-jährigen Krieges und den beispiellosen Niedergang des politischen, wirtschaftlichen und sozialen Lebens erlebt. Zwei Drittel Bevölkerung waren durch Pest und Krieg ausgelöscht.
Der Höhepunkt der Pandemie mit den vielen Toten in Italien, in New York und andernorts kann uns eine leise Ahnung davon geben, was Michael Frank erleben und verarbeiten musste. Er hat sich bei seinem Lied Anregungen beim Prediger Salomo geholt. Dieses Weisheitsbuch wird auch Kohelet genannt. Der Dichter bleibt anonym. Zwischendurch schlüpft er in das Gewand des sagenumwobenen Königs Salomo, dem Inbegriff eines weisen Königs. Angesichts des unausweichlichen Todes fragt sich Salomo, was von seinen Ruhmestaten, von seinen vielen Frauen und seinen schönen Gärten bleibt.
Die Antwort ist sprichwörtlich bekannt: „Alles ist eitel, flüchtig, vergänglich, und Haschen nach dem Wind.“ (Pred 1,14).
Man kann davon ausgehen, dass Kohelet wohlhabend war und Zeit zum Nachdenken und Philosophieren hatte. Er beobachtete das Leben genau und versuchte den Fragen auf den Grund zu gehen. Dabei ist ihm klar, dass der Mensch nicht alles verstehen kann. Gottes gute Ordnung bleibt dem Verstand entzogen. „Der Weise stirbt wie der Narr. In künftigen Tagen ist alles vergessen.“ (Pred 2,16) Wie können wir unsere Endlichkeit und Vergänglichkeit ertragen.
Kohelet gibt den Rat an die Jugend: „Freue dich, junger Mann, in deiner Jugend, und dein Herz erfreue dich in deinen Jugendtagen!“ (Pred 11,9) Für Kohelet gehört zur ausgelassenen Freude in der Jugend aber auch das Maßhalten dazu. Man soll das Übel vom eigenen Leib fernhalten, sagt er. Man soll sich also nicht übermütig und unsinnig in Gefahr bringen, denn sonst ist es aus mit dem Genießen-Können.
Junge wie Alte sollen das Leben genießen solange sie es können und die Freude nicht auf eine unsichere Zukunft zu verschieben. Carpe diem, pflücke den Tag! „Sorgt nicht für morgen, denn der morgige Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, dass jeder Tag seine eigene Plage hat“ (Mt 6,34), so klingt es aus dem Mund Jesu in der Bergpredigt.
Die nächste Mahnung lautet. „Denke an deinen Schöpfer in deinen Jugendtagen!“ (Pred 12,1) Man fragt sich, warum sollen wir an den Schöpfer denken, wenn dann gleich an die Vergänglichkeit erinnert wird. In den Rahmenversen unseres Abschnitts ist ein hebräisches Wortspiel versteckt, nämlich bôrê und bôr. bôrê ist das Wort für Schöpfer und bôr bedeutet Zisterne, Brunnen, Grube. Das Wortspiel wird also am Ende des Gedichts aufgelöst in dem Satz: „Das Schöpfrad fällt zerbrochen in die Zisterne. Der Staub, aus dem der Mensch geschaffen ist, kehrt zurück zur Erde, und der Lebensgeist zu Gott, der ihn gegeben hat.“ An seinen Schöpfer zu denken, bedeutet zunächst und vor allem, sich seiner eigenen Geschöpflichkeit und damit auch seiner Vergänglichkeit bewusst zu sein. Es bedeutet aber auch, die hellen und die dunklen Zeiten des Lebens als von Gott gegeben anzunehmen und die Grenzen der Erkenntnis zu akzeptieren.
Kennen Sie Sätze wie diesen: „Na warte, wenn du einmal so alt bist wie ich. Dann wirst du an mich denken. Dann hast du auch nicht mehr so viel Energie und musst dich öfter ausruhen!“?
Die Jugend verdrängt gern das Alter. Es betrifft sie ja auch noch nicht. Kohelet verwendet Bilder für die körperlichen Veränderungen, die der Alterungsprozess mit sich bringt. Zunächst stellt er fest: Es nahen sich Tage und Jahre, die der Jugend nicht gefallen werden, die aber unweigerlich kommen.
Dann lässt Kohelet etwas anklingen, was angesichts der Klimakatastrophe auch für uns aktuell ist. Er teilt die apokalyptischen Erwartungen seiner Zeit und rechnet mit einem Zusammenbruch der Ordnung. Kohelet rechnet mit einem Ende der Welt. Doch diese Erwartung lähmt ihn nicht. Er teilt die Einstellung, die sich in einem apokryphen Lutherwort zeigt: „Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen.“
Schließlich redet Kohelet auf allegorische, bildhafte Weise vom Älterwerden. Wenn ich gelegentlich Morgengymnastik mache, höre ich das Knacken meiner Gelenke. Unwillkürlich denke ich: Du wirst langsam ein alter Knacker.
Kohelet vergleicht den alternden Körper mit einem baufälligen Haus, den sterbenden Menschen mit einem verlassenen Haus.
Die zitternden Torwächter vor dem Haus stehen für die Arme, mit denen man einst gearbeitet und viel geleistet hat. Sie sind schwach und zittrig geworden. „Die Starken krümmen sich“, damit meint Kohelet die Beine, die krumm geworden sind und denen das Laufen schwerfällt.
Mit den müßig stehenden Müllerinnen; die wenige geworden sind, meint er die Zähne. Die meisten sind schon herausgefallen. Das Kauen geht schwer. Damals gab es noch keinen Zahnersatz.
Die Frauen, die aus den Fenstern ins Finstere schauen, spielen auf die Augen an, deren Sehkraft nachlässt.
Die geschlossenen Türen zur Gasse hin meint die Ohren, die nicht mehr gut hören.
Kohelet malt die Bilder des Älterwerdens nicht aus. Er stellt sie einfach zusammen. Es genügt das Bild des Tages, der in der Frühe mit dem Gesang der Vögel beginnt und mit der Stille der Nacht endet.
In einem neuen Anlauf schildert er den Jahreslauf.
Der rosa aufblühende Mandelbaum kündigt den Frühling an, die Heuschrecke frisst sich im Frühsommer voll und in der hochsommerlichen Erntezeit platzt der Kapernapfel, die reife Frucht des Kapernbaums. Der Winter bleibt unerwähnt.
Der Mensch wird schwach und schwächer, sein Leben gleicht dem auf- und abschwellenden Gesang der Vögel und die Natur vollzieht ihren Kreislauf. Der Wiederholung des Ewiggleichen ist der Weg des Menschen entgegengestellt, der unerbittlich in den Tod, sein ewiges Haus, führt.
Die Jugend soll an den Tod denken, solange noch Zeit ist. Denn nur das Wissen um den Tod führt zur Weisheit. Es allein befähigt den Menschen dazu, die Kostbarkeit des Lebens zu ermessen und die schönen Momente als Geschenk zu begreifen.
Sicher, der Mensch und alles, was er schafft, sind vergänglich und flüchtig.
Doch wird das menschliche Leben weder sinnlos noch unerträglich.
Unser Leben bleibt wertvoll, wo wir uns nichts vormachen.
Es gelingt, wo wir uns und den anderen Menschen im Rahmen der von Gott gesetzten Möglichkeiten und Grenzen den Genuss des Guten und Schönen gönnen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.
304, 1-2+5
528, 1-3+8
369, 1-3+7