Bevor ich den Predigttext Jesaja 12 lese, will ich ein paar Erläuterungen voranstellen. Man geht in der Forschung davon aus, dass das Jesajabuch in der hebräischen Bibel, dem AT, nicht von einer Person geschrieben wurde, sondern von vielen in einem Zeitraum von 500 Jahren. Man kann das gut mit dem Bau einer Kathedrale vergleichen. Der Kölner Dom zum Beispiel wurde erst 1880 fertig nach einer Bauzeit von 632 Jahren. Seitdem steht er so da, wie wir ihn kennen. Übrigens der eiserne Dachstuhl konnte nicht in Brand geraten und im 2. Weltkrieg haben viele freiwillige Helfer Brandwache gehalten, um entstehende Brände sofort zu löschen.
Die letzten, die am Jesajabuch noch Ergänzungen vornahmen, taten es nicht so, dass sie ihre Ergänzungen einfach hinten anfügten. Die Ergänzungen finden sich durch das ganze Buch verteilt.
Das Kapitel 12 hat die Funktion einer Aussichtsplattform über das gesamte Jesajabuch. In der Lutherbibel bekam es die Überschrift: „Das Danklied der Erlösten.“ Dieses Lied besteht aus 6 Versen. Es lässt uns zurückschauen auf die Gerichtsankündigungen der ersten Kapitel und vorausschauen auf die Heilszusagen besonders ab Kapitel 40. Darum das Bild von einer Aussichtsplattform über das gesamte Jesajabuch.
In dem Lied werden zwei Pole von Gott wahrgenommen: Sein Zorn und das liebende Werben um die Menschen. Es wird die Zeit vorweggenommen, in der Gott gedankt wird für seinen Zorn, der verraucht ist und er sich tröstend seinem Volk zuwendet.
„Zu der Zeit wirst du sagen:
Ich danke dir, Herr! Du bist zornig gewesen über mich.
Möge dein Zorn sich abkehren, dass du mich tröstest.
Siehe, Gott ist mein Heil,
ich bin sicher und fürchte mich nicht;
denn Gott der Herr ist meine Stärke und mein Psalm und ist mein Heil.
Ihr werdet mit Freuden Wasser schöpfen
aus den Brunnen des Heils.
Und ihr werdet sagen zu der Zeit: Danket dem Herrn, rufet an seinen Namen!
Machet kund unter den Völkern sein Tun,
verkündiget, wie sein Name so hoch ist!
Lobsinget dem Herrn, denn er hat sich herrlich bewiesen.
Solches sei kund in allen Landen!
Jauchze und rühme, die du wohnst auf Zion;
denn der Heilige Israels ist groß bei dir!“
Liebe Gemeinde!
Jesaja scheut sich nicht, vom Zorn Gottes zu sprechen. Im Mittelalter wurde den Menschen mit dem zornigen und strafenden Gott Angst gemacht. Martin Luther selbst sagt, dass er diesen Gott gehasst habe, der ihm durch die Erziehung und die Kirche seiner Zeit vermittelt wurde. Er bemühte sich durch allerlei fromme Taten, Gottes Zorn zu stillen. Aber es gelang ihm nicht. Wegen solchem Missbrauch der Rede vom Zorn Gottes hat man lange Zeit vermieden, von Zorn Gottes zu reden. Die Bibel tut es aber. Wir müssen uns dem stellen. Wir müssen uns dabei aber bewusstmachen:
Von Gottes Zorn in rechter Weise zu reden, ist eine Herausforderung. Manche tun es unreflektiert. So geschehen beim Aufkommen von AIDS. Da wussten manche selbsternannten Besserwisser sofort, dass AIDS eine Strafe des zornigen Gottes für bestimmte sexuelle Verhaltensweisen sei. Es passte in ihr Weltbild, dass Homosexualität Sünde ist. In meinen Augen war das ein Missbrauch der Rede von Gottes Zorn. Es steht uns nicht zu, Gottes Zorn im Leben von anderen Menschen auszumachen. Das tut der Prophet hier auch nicht. Er bleibt solidarisch mit seinem Volk. Weil es eigene Wege gegangen ist und nicht auf Gott gehört hat, darum hat es die schweren Folgen tragen müssen und darin Gottes Zorn erfahren.
Denn Gott ist es nicht egal, wenn Arme ausgebeutet werden.
Gott ist es nicht egal, wenn Kriege angezettelt werden.
Gott ist es nicht egal, wenn Menschen über ihre Verhältnisse leben. Gott ist es nicht egal, wie wir die mahnenden und warnenden Stimmen seit 50 Jahren ignorieren. Es ärgert ihn. Es macht ihn zornig, weil es ein Angriff auf seine gute Schöpfung ist. Weil er will, dass das aufhört. Jesaja macht diesen Zorn Gottes hörbar und er will zur Umkehr bewegen.
Jesaja gehörte zu den ersten Propheten, die zwei aufregende Entdeckungen machten.
Zum einen sah er, dass Gegenwart und Zukunft miteinander verschränkt sind. Die Schrecken der Gegenwart können sich in die Zukunft fortsetzen. Für Jesaja waren das Schrecken des Krieges, der Eroberung, des Gebietsverlustes – wie ihn die Ukraine derzeit erleben muss. Und wir erleben die Auswirkungen dieses unsinnigen Krieges an gestiegenen Energiepreisen, an weltweiten Nahrungsmittelengpässen und dergleichen. Die Schrecken der Gegenwart können sich in die Zukunft fortsetzen. Oder sie können in der Zukunft aufgehoben werden zu einem staunenswerten Friedensreich. Was sich in der Gegenwart noch als großer Konflikt darstellt, das kann in der Zukunft aufgelöst werden. Für Jesaja ist die Zukunft offen.
Und Jesaja sah zweitens, dass die Zukunft auch von Gott bestimmt ist, von dem Gott, der diese Welt geschaffen hat und der Israel aus der Unterdrückung in Ägypten befreit hat. Und Jesaja sah schon: Es gibt nur eine Schöpfung, es wird keine Schöpfung B geben. Und das führte ihn zu neuen Glaubensgedanken über die Zukunft. Menschen können die Zukunft nur sehr unvollkommen berechnen. Das ist allein Gott vorbehalten. Aber wenn Menschen sich an Gott halten, stellen sie sich schon jetzt auf Gottes Pläne ein. Und da sind wir bei dem anderen Pol Gottes. Nicht bei seinem Zorn. Sondern bei seinem liebenden Werben um die Menschen. Gott will unser Heil. Das ist der tiefere Grund seines Zorns. Er will nicht, dass Menschen einander verachten, einander Gewalt antun, übereinander herfallen, sondern in Frieden miteinander leben.
Jesaja sieht das kommende Heil vorher und dankt jetzt schon dafür:
"Siehe, Gott ist mein Heil,
ich bin sicher und fürchte mich nicht;
denn Gott der HERR ist meine Stärke und mein Psalm und ist mein Heil.
Ihr werdet mit Freuden Wasser schöpfen
aus den Brunnen des Heils."
Dreimal ist hier von der Rettung, vom Heil, die Rede. Gott ist mein Heil. Der Brunnen des Heils. Machen wir uns bewusst: Nachdem zweimal vom Zorn Gottes gesprochen war, wird dreimal vom Heil Gottes gesprochen.Im Schweren hält der Gott Dankende dennoch an Gottes Heilswillen fest. (Der Apostel Paulus wird später sagen: Denen, die Gott lieben, werden alle Dinge zum Besten dienen.)
Gott ist mein Heil. Wer so beten kann, der kann in Gottes Zorn auch ein Zeichen seiner Güte und Treue erkennen. Und Gott dafür danken: "Der HERR ist meine Stärke und mein Psalm und ist mein Heil...
Danket dem Herrn, rufet an seinen Namen! Machet kund unter den Völkern sein Tun, verkündiget, wie sein Name so hoch ist!
Lobsinget dem Herrn, denn er hat sich herrlich bewiesen.
Solches sei kund in allen Landen! Jauchze und rühme, die du wohnst auf Zion; denn der Heilige Israels ist groß bei dir!“
Mit den Konfirmanden habe ich einen Film über Zinzendorf angeschaut. Darin wird von dem Engländer John Wesley erzählt, dem Begründer der methodistischen Kirche: John Wesley ging 1735 (als die Schlössleinskolonie in Rehweiler im Bau war) mit seinem Bruder Charles für zwei Jahre als Missionar nach Georgia. Auf der Überfahrt nach Amerika schloss er sich einer Gruppe der Herrnhuter Brüdergemeine an. Während eines heftigen Seesturms brach Panik auf dem Schiff aus. Wesley beobachtete die Herrnhuter, wie sie ruhig blieben und ihre Lieder sangen. Das hat ihn sehr beeindruckt. Lieder singen mitten im Sturm.
Versuchen wir es auch. Jetzt. Und immer wieder.
Denn der HERR ist meine Stärke und mein Psalm und ist mein Heil.
Lob- und Danklieder: EG 324, 302, 602 u.v.a.